Der juristisch und politisch höchst unpräzise Begriff „Wiedergutmachung“ sollte in Anerkennung der Londoner Deklaration vom 5. Jänner 1943 alle jene Maßnahmen umschreiben, die dazu dienten zumindest das materielle Unrecht des NS-Regimes — soweit dies möglich war — rückgängig zu machen. Die Ermordung von mehr als 60.000 Österreichern und Österreicherinnen aufgrund der rassistischen NS-Pseudogesetzgebung war ebensowenig „wieder gut zu machen“ wie die Ermordung von Millionen Juden in den NS-Vernichtungslagern oder die zivilen und militärischen Opfer als Folge der Angriffskriege des Regimes.
Es muss im Voraus gesagt werden, dass die politische Elite des demokratischen Österreich nach 1945 diesen berechtigten materiellen Forderungen gegenüber größtenteils überaus skeptisch eingestellt war. Da Österreich durch den “Anschluss” am 12. März 1938 Teil des Deutsche Reiches geworden war, erfolgten Verbrechen wie Vermögensentzug, Raub und Mord unter nationalsozialistischer deutscher Herrschaft, aber mit Beteiligung vieler Österreicher und Österreicherinnen, die nun die deutsche Staatsbürgerschaft hatten. Während Deutschland sich bereits nach Kriegsende mit Restitution und Rückstellung befassen musste, berief Österreich sich auf die Moskauer Deklaration von 1943 und wies Mitverantwortung für die nationalsozialistischen Verbrechen zurück. (Erst 1991 anerkannte Bundeskanzler Franz Vranitzky Österreichs Mitschuld, ab 1995 wurden den Opfern des Nationalsozialismus Entschädigungen zugesprochen.) Staatskanzler Karl Renner ging in einem politischen Memorandum sogar so weit, vorzuschlagen:
„Rückgabe des geraubten Judengutes, dies nicht an die einzelnen Geschädigten, sondern an einen gemeinsamen Restitutionsfonds. Die Errichtung eines solchen und die im folgenden vorgesehenen Modalitäten sind notwendig, um ein massenhaftes, plötzliches Zurückfluten der Vertriebenen zu verhüten (Ein Umstand, der aus vielen Gründen sehr zu beachten ist). Sobald das Fondsvermögen, das allen Beraubten solidarisch zur Entschädigung dienen soll, festgestellt sein wird, werden Anteilscheine ausgegeben, für jeden pro rata des erlittenen Schadens ... Soweit Unternehmungen sozialisiert werden — und das sind alle großen — tritt anstelle des Fondanteils die allfällige staatliche Ablösungsrente.“
Sehr wohl setzte sich aber Renner für eine rasche Restitution des zwischen 1934 und 1938 „der Arbeiterschaft geraubten privat- und öffentlich-rechtlichen Einrichtungen“ ein. Darüber hinaus beharrte Adolf Schärf auf einer „Wiedergutmachung für 1934“ (ungefähr 60 Millionen Schilling für die Partei und 60 Millionen Schilling für die Gewerkschaften).
In den ersten Expertengutachten des Außenamts über „Die außenpolitische und völkerrechtliche Seite der Ersatzansprüche der jüdischen Naziopfer“ wurde zwar eine rechtliche Verpflichtung für die Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes abgelehnt, aber aus politischen Gründen doch zumindest eine Rückstellung vorgeschlagen. Das bedeutete nicht nur, dass das nationalsozialistische Deutschland allein als Täter (d.h. auch „Entzieher“ von materiellen Werten) angesehen wurde, sondern auch, dass eine Restitution vom Staat Österreich (der sich unter Berufung auf die Moskauer Deklaration 1943 als Opfer verstand) in Aussicht gestellt wurde.
Eine erste Maßnahme war das „Gesetz über die Erfassung arisierter und anderer im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Machtübernahme entzogenen Vermögenschaften“ (10.Mai 1945), ohne dass die Entziehung genauer definiert oder die entsprechenden Rückstellungen gesetzlich vorgeschrieben waren. Bereits in dieser Sitzung der provisorischen Bundesregierung, wurde deutlich, dass sich die sozialdemokratischen Mitglieder der Staatsregierung, allen voran Karl Renner, aber auch Unterstaatssekretär Oskar Helmer benachteiligt fühlten und die Rückgabe der 1934 beschlagnahmten Vermögenschaften und Vermögensrechte sozialdemokratischer Organisationen und der Gewerkschaften forderten. Helmer wollte „zumindest eine Ankündigung, dass diese Vermögenschaften in einer Form zurückerstattet werden, die einer Wiedergutmachung gleichkomme“ (Dokument 1)
Staatskanzler Renner ging noch weiter und meinte mit einem verdeckt politisch untergriffigen Ton, „dass es doch ganz unverständlich wäre, dass man jeden kleinen jüdischen Kaufmann oder Hausierer für seinen Verlust entschädigt, dass man aber einer ganzen Klasse und einer Bewegung, der 47 Prozent der Bevölkerung angehört haben, straflos und ohne Ersatz das Ergebnis ihrer emsigen Sammeltätigkeit und ihrer Organisationsarbeit glatt wegnehmen kann“ (Dokument 1). Gleichzeitig machte er seinen Verbleib als Staatskanzler von einem derartigen Gesetz abhängig.
Für die „jüdische“ Wiedergutmachung wurde jedoch erst mit dem „Nichtigkeitsgesetz“ aus 1946 und dem „1. Rückstellungsgesetz“ sowie den folgenden sechs Rückstellungsgesetzen bis 1949 ein formaler Rahmen für die „Restitution“ mancher, aber nicht aller, Vermögenskategorien geschaffen (z.B. Mietrechte wurden nicht rückgestellt; bereits eingezahlte Pensionen u.a. waren lange umstritten).
Versucht man für den Raum Wien und Niederösterreich die angefallenen „Rückstellungen“ gesondert statistisch auszuweisen, so zeigt sich bei einer Rückblende auf die ersten Statistiken der „NS-Ariseure“ das Ausmaß der Ansprüche. So meldete die Vermögensverkehrsstelle am 3.Jänner 1939 „jüdisches Vermögen“ in der Höhe von 2.041.828.000 Reichsmark. Kaufmännische und industrielle Unternehmungen wurden mit 321.329.000 Reichsmark beziffert, Wertpapiere und Aktien mit 265.958.000 Reichsmark, städtischer Haus- und Grundbesitz mit 521.162.000 Reichsmark und Land- und Forstwirtschaftlicher Besitz mit 39.673.000 Reichsmark.
Hinsichtlich der nach wie vor ungeklärten Wiedergutmachung für den Entzug von Vermögen der Arbeiterbewegung gab es in der Staatsregierung und im Kontaktkomitee zwischen SPÖ und KPÖ (Dokument 2) Auffassungsunterschiede, da die KPÖ sich von der SPÖ benachteiligt fühlte, beispielsweise bei der Rückstellung von Arbeiterheimen. Die Debatte wurde insofern kompliziert als auch auf Beamtenebene des Staatsamtes für Inneres eine Vermögenssicherungsverordnung entworfen worden war, die der Gewerkschaftspräsident Böhm benutzte, um die Sicherung und Rückstellung des Vermögens der Gewerkschaften (d.h. des Vermögens der Deutschen Arbeitsfront, DAF) zu fordern. Aufgrund dieser und anderer Einwände wurde die Entscheidung darüber vertagt, ohne wirklich eine Lösung anbieten zu können (Dokument 3). Ein „Vermögensrepatriierungsgesetz“ scheiterte vorerst an einem Einspruch des Alliierten Rates (Dokument 4). In dieser Situation wurde sogar der Rückkauf des traditionsreichen Partei- und Druckereigebäudes „Vorwärts“ erwogen (Dokument 4), doch 1947 letztlich im 3. Restitutionsgesetz geregelt (Dokument 5). 1947 kam es auch zu einer neuerlichen Politisierung der “jüdischen Wiedergutmachung“; seit Mai 1946 verfolgte man in allen Regierungsstellen die akkordierte und von Außenminister Gruber vorgetragene Linie, dass “Österreich nur Rückstellungen veranlassen, nicht aber Wiedergutmachung leisten könne (Dokument 6).
Grubers Formulierung, dass sich „Österreich einer Wiedergutmachung nicht widersetzen würde, die für namentlich angeführte Juden verlangt wird“, erregte österreichische Beamte, die gerade im Zusammenhang mit der bevorstehenden parlamentarischen Diskussion des 3. Rückstellungsgesetzes zu weitgehende Zugeständnisse befürchteten und überhaupt die gesamte Frage der „Rückstellung“ kunstvoll von der „jüdischen Frage“ getrennt als Rechtsproblem abhandeln wollten.
Die Restitution seitens des österreichischen Staates und der Länderregierungen (1. und 2. Rückstellungsgesetz) funktionierte schleppend und mit großem bürokratischem Aufwand. Große Probleme gab es dann mit dem 3. Rückstellungsgesetz betreffend die Rückstellung von in privater Hand befindlichem entzogenen Vermögen. Vor allem die gesetzliche Forderung nach „Rückzahlung des Kaufpreises“ führte zu vielen Ungerechtigkeiten.
Diese scheinbare Erfolgsbilanz — meist mit falschen Statistiken — wurde damals in offiziellen Broschüren als „Leistung der Republik Österreich“ hervorgehoben. Tatsächlich handelte es sich dabei um eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit. Das durch mehr als 40 Bundesgesetze seit 1947 geänderte Opferfürsorgegesetz gewährt geringe Entschädigungsleistungen (Haftentschädigungen, Abgeltung von Einkommensschäden, usw.) für österreichische Staatsbürger, die als Opfer mittels Amtsbescheinigung anerkannt wurden. Die Renten nach dem Opferfürsorgesetz sind übrigens gleich jenen nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz. Auch hier sind jene, die zwischen 1933 und 1938 politisch verfolgt wurden (mit Ausnahme der „illegalen“ Nationalsozialisten) anspruchsberechtigt. Zwischen 1946 und 1987 betrugen die gesamten Entschädigungszahlungen 7.509.200 Schilling.
Erst ab 1953 begannen unter internationalem Druck Verhandlungen über eine Globalentschädigung für jenes Vermögen, für das es keine Eigentümer bzw. Erben gab, sowohl bezüglich beschlagnahmter Bankguthaben, Versicherungen, Gold, Juwelen, Hausrat, Wohnungseinrichtungen, der sogenannten „Judenabgabe“ und der „Reichsfluchtsteuer'' als auch der niedergebrannten Tempel und gestohlenen oder vernichteten Ritualgeräte. Diese Verhandlungen wären wohl kaum zustande gekommen, wenn die SPÖ der Einbindung des Verbands der Unabhängigen in die Bundesregierung zugestimmt hätte oder eine Koalition ÖVP-WdU (Wahlpartei der Unabhängigen — der Name unter dem die VdU 1949 zur Wahl angetreten war) gebildet worden wäre. Bundespräsident Theodor Körner hat seine Zustimmung bei beiden Varianten verweigert. In einer Parteienvereinbarung ÖVP-WdU wurde die bisherige Rückstellungspraxis stark eingeschränkt und prinzipiell alle jüdischen Forderungen als „übertrieben“ dargestellt. Im Gegenzug setzte der WdU „Wiedergutmachungen“ für Internierte der Alliierten durch, d.h. in erster Linie ehemalige NSDAP- und SS-Mitglieder, die beispielsweise im Entnazifizierungslager Glasenbach interniert worden waren (Dokument 18). Verhandlungen mit jüdischen Organisationen sollten auf Wunsch des WdU überhaupt erst auf die Zeit nach Erlangung der vollen staatlichen Souveränität verschoben werden.
Nach jahrelangen Verhandlungen kam unter sanftem Druck des US Department of State sowohl auf die internationalen jüdischen Organisationen als auch auf die österreichische Bundesregierung 1961 eine Lösung zustande, wonach ein „Fonds zur Abgeltung von Vermögensverlusten politisch Verfolgter“ (Abgeltungsfondsgesetz) eingerichtet wurde (155.220.000 Schilling plus 170 Millionen Schilling pauschalierter Verwaltungskosten). 1962 wurde überdies ein Hilfsfonds mit 600 Millionen Schilling gegründet, die von der Deutschen Bundesregierung als Teil der Wiedergutmachung an Österreich auf Basis des Bad Kreuznachner Abkommens eingezahlt wurden. Der 1956 per Gesetz errichtete „Hilfsfonds“ hatte bereits 1959 sein Vermögen von 550 Millionen Schilling, aufgebraucht.
In der Frage der Wiedergutmachungsansprüche von Personen und Institutionen, die zwischen 1934 und 1938 als Sozialdemokraten bzw. sozialistische Organisationen Vermögensverluste bzw. Schäden erlitten hatten, stellten sozialistische Abgeordnete im Juni 1948 einen Initiativantrag auf ein 2. Rückgabegesetz (Dokument 7). Bereits hier zeigte sich neuerlich, dass dies in der ÖVP eine Frage von höchster Brisanz war und in der Folge bei diesen und anderen Parteiengesprächen unbedingt auf ein gemeinsames Protokoll wertgelegt wurde (Dokument 8). Zug um Zug wurden sozialdemokratische Forderungen diskutiert und teilweise auch erfüllt, so im Zusammenhang mit Wiederherstellung von Mietrechten und Gewerberechten bzw. Pensionsansprüchen (Dokument 9) und (Dokument 10). Am Rande gab es aber auch Probleme mit vermischtem Mobiliar im Rahmen sozialdemokratischer Organisationen, das aus dem der Republik Österreich zugefallenen Vermögen der Deutschen Arbeitsfront (DAF) und anderem Nazi-Vermögen stammte (Dokument 11). Auch die Vermögenssteuer auf Wiedergutmachungszahlungen belastete die Parteiorganisation, so dass man um Ausnahmen ansuchte (Dokument 12)
Im Jänner 1951 hatten sich ÖVP und SPÖ größtenteils über das 2. Rückstellungsanspruchsgesetz geeinigt, welches die Rückstellung von Vermögen der Kirchen, Gewerkschaften und Kammern regeln sollte. Nur in der Frage des Gewerkschaftsvermögens war man uneins, da es sich einerseits um Vermögen des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) 1934 bis 1938 handelte (beziffert mit rund 6 Millionen Schilling), wohingegen das DAF-Vermögen aus den Jahren 1938 bis 1945 rund 250 Millionen Schilling betrug und in Siedlungen, Grundstücken, usw. angelegt war (Dokument 13). Die ÖVP versuchte unter Hinweis auf Vermögen von christlichen und unpolitischen Gewerkschaften eine Teilung dieser Gesamtwerte durchzusetzen, und auf diese Art und Weise rund 20 bis 33 Prozent direkt an den ÖAAB zu übertragen. Eine rasche Einigung über das Vermögen des ÖGB blieb aber aus und wurde ins Parlament verlagert (Dokument 14-17).
Das Urteil der von 1998 bis 2003 tätigen Historikerkommission der Republik Österreich zu den Rückstellungen war hart: „Das Rückstellungswesen ist ein unübersichtliches, teilweise widersprüchliches Geflecht aus einer Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen, von widerstrebenden Interessen der politischen Parteien, der Wirtschaftsverbände, der Opferorganisationen und der Alliierten. Zahlreiche Probleme lagen außerhalb der Rückstellungsgesetze [….] Dieses Dickicht zu durchdringen bedurfte es eines finanziellen wie mentalen Kraftaktes. Für die Opfer des Nationalsozialismus, die mit dem Leben davongekommen waren und die ihr geraubtes Hab und Gut zurückwollten, um überhaupt ein Überleben sichern zu können, war es äußerst schwierig sich zu orientieren. In der Bundesrepublik Deutschland, wo im Prinzip zwei Gesetze die Rückstellung und Entschädigung regelten, war der Zugang einfacher.“
Letztendlich nach langen politischen Debatten in den 1970er und 1980er Jahren und Verhandlungen in den 1990er Jahren hat Österreich am 6. Juni 2001 das Washingtoner Abkommen unterzeichnet und spät, aber doch wurde tatsächlich einer weitgehenden Restitution für die Opfer der Nationalsozialisten stattgegeben und ein Zeichen für die Zukunft gesetzt. Mit dem Nationalfonds der Republik Österreich für die Opfer des Nationalsozialismus wurde schon 1995 ein Mechanismus für eine „Entschädigung“ geschaffen und mit dem Zukunftsfonds der Republik Österreich die Förderung von Forschung zu Themen der Österreichischen Zeitgeschichte ermöglicht.
Der Nationalfonds wurde mit 210 Millionen US-Dollar dotiert und hat individuelle „Gestezahlungen“ von 5.087,10 Euro an ca. 30.000 Antragsteller ausbezahlt. Zudem zahlte der Nationalfonds im Rahmen der „Mietrechtsentschädigung“ mehr als 175 Millionen Euro in Pauschalzahlungen von 7.630 Euro pro Person sowie Nachzahlungen von je 1.000 Euro.
Der Allgemeine Entschädigungsfonds zu Vermögensentschädigung entschied über 20.702 Fälle und leistete Zahlungen von insgesamt 213,7 Millionen US-Dollar; der Wert der zurückgegebenen Immobilien beläuft sich auf ca. 47 Millionen Euro.
Gregory Weeks
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