Am 12.Mai 1945 meldete Oberstleutnant Franz Winterer dem Staatskanzler:
„Das Amt Staatskanzlei–Heereswesen nimmt seine Tätigkeit — vorläufig in eingeschränktem Umfange — nach Einrichtung und teilweiser Besetzung der wichtigsten Posten am 14. Mai 1945 auf. Eine Übersicht über die vorläufige Gliederung ist beigeschlossen.“ (Dokument 1)
Mit gleichem Datum richtete er auch einen Vorschlag an Renner über die Aufstellung von Militärkommandos in den Bundesländern. (Dokument 2)
Wenig später erläuterte er in einem Bericht an die sozialistische Fraktion den „Beginn eines Heereswesens“ und warf die Frage Miliz („Volksheer“) oder Berufsheer („Söldnerheer“) auf:
„In einem bürgerlichen Staate werden die Offiziere immer bürgerlich eingestellt sein, die Miliz daher das Gewaltinstrument der bürgerlichen Klasse. Eine rote Miliz ist nur in einem klassenlosen Staate möglich. Heute befindet sich aber die sozialistische Partei weiterhin im Klassenkampf in einem bürgerlichen Staate.“ (Dokument 3)
In einem zweiten Dokument zum „Beginn eines Heereswesens“ meinte er:
„Bis zur Regelung, welche Wehrmacht die Sieger dem, der Grösse nach noch unbekannten Österreich zubilligen werden, ist ein Provisorium unerlässlich. Dieses Provisorium zielt in erster Linie auf den Schutz und die Sicherheit Österreichs im Innern gegenüber dem moralisch-wirtschaftlichen Zustand des Volkes und dem wahrscheinlich sehr bald zu erwartenden Entwicklungsbeginn politischer Beunruhigungen.“ (Dokument 4)
In der Sitzung des Kabinettsrates vom 5.September 1945 berichtete Winterer zum Berufsmilitärpersonengesetz unter anderem:
„Ich brauche mindestens 2.000 Berufsoffiziere, wenn ich ein ganz kleines Heer aufzustellen hätte, noch kleiner als es das österreichische Bundesheer war.“ (Dokument 5)
Während ihm Unterstaatssekretär Dr. Karl Altmann von der KPÖ entgegenhielt:
„Ich nehme aus dem Referat des Herrn Usts. Winterer zur Kenntnis, dass bei der Neubildung des Personalstandes nur ein ganz geringer Personenkreis in Betracht kommt, möchte das aber genau umschrieben haben. Wir haben gar keinen Anlass und auch gar keine Möglichkeit, ein Heer zu bilden, und wir haben auch keinen Anlass, den Kader für ein künftiges Heer zu bilden.“ (Dokument 5)
Damit hatte Altmann recht, denn die Alliierten sahen keine Notwendigkeit einer militärischen Einrichtung und erließen am 10.Dezember 1945 den Beschluss zur Liquidierung des Heeresamtes. So blieb es der Regierung Figl, die ab 21.Dezember 1945 im Amt war, überlassen, das Unterstaatssekretariat für Heereswesen aufzulösen.
Doch schon in den beiden folgenden Jahren begannen, im Kontext der ersten Staatsvertragsverhandlungen, erneute Debatten über die Aufstellung eines österreichischen Heeres. Der Parteivorstand der SPÖ setzte ein eigenes Heereskomitee ein, um besser vorbereitet in Verhandlungen mit der ÖVP gehen zu können. Diesem Komitee gehörten u.a. Adolf Schärf, Theodor Körner, Franz Winterer, Julius Deutsch und Ferdinand Linhart an. Am 3.März 1947 übermittelte Julius Deutsch einen Entwurf der Grundsätze für den Aufbau des neuen Heeres als Diskussionsgrundlage an die Mitglieder des Heereskomitees. (Dokument 6)
Am 12. März 1948 sandte Felix Hurdes an Leopold Figl eine Niederschrift über den Stand der Parteienverhandlungen und hielt im Abschnitt über die „Wehrmacht“ fest:
„Diese muss die alleinige Waffenträgerin neben Polizei und Gendarmerie sein. Die Wehrmacht hat unbedingt nur dem Gesamtstaatsinteresse zu dienen. Aus diesem Grunde ist auch geplant, die Wehrmacht zu entpolitisieren.“ (Dokument 7)
Vier Tage später, am 16. März 1948 nach neuerlichen Parteiverhandlungen bekräftigte er diese Aussagen und teilte auch mit, dass die von Vizekanzler Adolf Schärf vorgelegten Regelungen über die Wehrmacht zum Großteil übernommen wurden:
„Die neu aufzustellende Wehrmacht wird ein überparteiliches Machtmittel des Staates sein. Sie soll einen milizartigen Charakter tragen, d.h. auf allgemeiner Wehrpflicht beruhen. Dem Soldaten soll bei zufriedenstellender Dienstleistung der Weg zur Offizierslaufbahn offenstehen. Um den parteipolitisch neutralen Charakter des Heeres zu sichern, wird eine Kommission von vier Mitgliedern (von jeder Partei zwei) eingesetzt mit dem Auftrage, die Grundzüge der neuen Heeresorganisation zu entwerfen und Vorschläge in personeller Hinsicht zu machen.“ (Dokument 8)
In einem Gedächtnisprotokoll vom 21. April 1948 hielt Hurdes fest:
„Da nunmehr in der Frage der Aufstellung des Bundesheeres bei den Vertragsverhandlungen in London Einigung erzielt, ist die Zeit gekommen, dass sich die beiden politischen Parteien über grundsätzliche Fragen des neuen Bundesheeres besprechen.“ (Dokument 9)
Julius Deutsch erstellte noch im April 1948 detaillierte „Leitsätze für die Aufstellung einer österreichischen Wehrmacht“ als Diskussionsgrundlage und hielt darin fest:
„Die künftige Wehrmacht soll einen milizartigen Charakter tragen, d.h. sich möglichst eng an das in der Schweiz bewährte System anschließen.“ (Dokument 10)
Im Mai 1948 gab die SPÖ auch eine Redeanleitung unter dem Titel „Unsere Stellung zur Wehrfrage“ heraus, in der sie erläuterte, nach wie vor eine pazifistische Haltung einzunehmen, aber einen Grenzschutz für absolut notwendig zu erachten. Zum Aufbau einer Miliz erklärte sie:
„Um zu verhindern, dass die neue Wehrmacht ein Instrument der Reaktion wird, treten wir dafür ein, dass sie einen milizartigen Charakter erhält. Die neue Wehrmacht darf nicht losgelöst vom Volke ein volksfremdes Dasein führen, sondern muss dem Volke aufs engste verbunden bleiben.“ (Dokument 11)
Bei einer „Besprechung über grundsätzliche Fragen betreffend den Ausbau der österreichischen Exekutive“, die ebenfalls im Mai 1948 stattfand und an der von SPÖ-Seite Helmer und Deutsch und von ÖVP-Seite Graf und Liebitzky teilnahmen, wurde über Anregung von Graf u.a. beschlossen:
„Äußerungen den Ausbau des neuen Bundesheeres betreffend, mögen von beiden Parteien bis zu dem Zeitpunkt nicht abgegeben werden, bis sich die beiden Parteien in Parteienbesprechungen über die grundsätzlichen Fragen geeinigt haben.“ (Dokument 12)
Die verschiedenen Ansichten in der Heeresfrage fanden trotzdem ihren Weg in die Öffentlichkeit und der französische General Bethouart ließ seinen militärischen Berater Oberst Petetin die Ideen und Absichten der ÖVP erkunden. Zu den Äußerungen von Deutsch und Winterer meinte Petetin am 2.Juni 1948:
„Die vielfach verfochtene Miliz oder milizartige Form mit ganz kurzer Dienstzeit (6 oder gar 3 Monate) würde für Österreich keine Lösung sein, weil in dieser Wehrform die wichtigste Voraussetzung, die ständig verwendungsbereiten, stehenden Formationen nicht gegeben wären.“ (Dokument 13)
Leopold Figl übermittelte wenig später an Adolf Schärf eine Aufstellung, in der die Ansichten von SPÖ und ÖVP gegenübergestellt wurden. In fast allen Punkten wurden die SPÖ-Vorschläge als ungeeignet zurückgewiesen. (Dokument 14)
Generalmajor Franz Winterer schrieb daher am 13.September 1948 an Julius Deutsch:
„Die Quellen des ÖVP-Vorschlages für eine provisorische Wehrordnung (von Gen. Major Dr. Lipitzky) sind das Österr. Wehrgesetz des ehemaligen Bundesheeres und das Bundesverfassungsgesetz vom 1.X.1920 in seiner gegenwärtigen Fassung. In dem ÖVP-Vorschlag werden Abweichungen unseres Entwurfes von den genannten Quellen besonders betont aufgezeigt, während die Abweichungen des ÖVP-Entwurfes als selbstverständlich aufgenommen sind.“ (Dokument 15)
Das Jahr 1949 brachte intensive Beratungen über die Aufstellung eines Bundesheeres, da man annahm, dass der Abschluss des Staatsvertrages unmittelbar bevorstand. Außenminister Karl Gruber berichtete am 8. März 1949 aus London „Streng vertraulich“ an Bundeskanzler Leopold Figl über eine Unterhaltung des österreichischen Gesandten in Frankreich Alois Vollgruber mit dem Fachreferenten für österreichische Angelegenheiten Bruno de Leusse:
„...in der die Beunruhigung massgeblicher französischer Kreise über die schleppenden Vorbereitungen für die Aufstellung unseres Bundesheeres zum Ausdruck kam. M. de Leusse zitierte in diesem Zusammenhang auch General Bethouart, der sich im französischen Außenministerium dem Bericht zufolge sehr deutlich vernehmen ließ, dass wir in dieser Angelegenheit gar nichts unternähmen.“ (Dokument 16)
Figl antwortete sofort und teilte Gruber mit, dass er den Gesetzentwurf nebst den entsprechenden Erläuterungen an General Bethouart weitergeleitet habe und noch überlege, ob er ihn auch an General Keyes und Generalleutnant Galloway zur Einsicht schicken solle.
„Jedenfalls habe ich Staatssekretär Graf, Minister Raab und Präsident Gorbach dringendst gebeten, die Angelegenheit eifrigst weiter zu verfolgen, da ich sie sonst selbst in die Hand nehmen müsste.“ (Dokument 17)
Die Ansichten der beiden großen Parteien über die Aufstellung eines österreichischen Heeres schienen aber unvereinbar. Julius Deutsch schrieb am 11. Juni 1949 an Schärf:
„Der Gegensatz zwischen uns und der ÖVP lässt sich — vereinfacht — auf folgende Formel bringen: wir wollen eine Art von Miliz nach Schweizer Muster. Die ÖVP will ein stehendes Heer mit allgemeiner Wehrpflicht. Wir wollen viele Soldaten und wenig Berufsoffiziere. Bei der ÖVP ist es umgekehrt. Bei ihr ist der Kader der Berufsoffiziere und Unteroffiziere die Hauptsache. Daher schlagen ihre ‚Fachleute‘ für unser kleines Land nicht weniger als neun Divisionen mit den dazugehörigen Generälen, Stabsoffizieren etc. vor. Mit anderen Worten, diese „Fachleute“ wollen genau dort fortsetzen, wo das System Vaugouin aufgehört hat. Dass die SPÖ diesen stockreaktionären Unsinn nicht mitmachen kann, versteht sich von selbst.“ (Dokument 18)
Fast zur gleichen Zeit übermittelte Oberstleutnant Ferdinand Linhart an Minister Waldbrunner eine Aufstellung über die Heeresorganisations-Entwürfe von ÖVP und SPÖ, sowie eine tabellarische Gegenüberstellung. (Dokument 19)
Auch Generalmajor Franz Winterer beeilte sich in einem Schreiben an Vizekanzler Schärf am 30.Juni 1949 seine Meinung zu den Verhandlungen darzulegen:
„Wir dürfen uns in der Frage des Bundesheeres nicht in eine Angstpsychose drängen lassen, die von der ÖVP vielleicht absichtlich verschärft, jedenfalls geschickt ausgenützt werden könnte, um ihre militärpolitischen reaktionären Ansichten durchzusetzen.“ Und weiter: „Daher muss die sozialistische Partei Ruhe bewahren, sich Zeit lassen und die Entwicklung abwarten. Unterdessen sollen die Probleme der neuen Wehrmacht in Ruhe und ohne Drängen der ÖVP-Scharfmacher mit und nicht gegen uns — gegen unser Parteigewissen und unsere Parteiklugheit — gelöst werden. (Dokument 20)
Der Bürgermeister der Stadt Wien Theodor Körner, der als ehemaliger General mit der Heeresfrage stets verbunden blieb, übermittelte Vizekanzler Schärf am 7.Juli 1949 seinen „Standpunkt zur Heeresfrage“, sowie Bemerkungen zur Vorlage von Linhart. Sein Motto blieb: „Kein Heer – nur Miliz“. (Dokument 21)
Er nahm auch an einer Sitzung des Wehrkomitees im Parteisekretariat der SPÖ am 11.Juli 1949 teil, bei dem nach einer Generaldebatte die wichtigsten Punkte festgehalten wurden. (Dokument 22)
Am folgenden Tag richtete er neuerlich ein Schreiben an Schärf und teilt ihm seine Beunruhigungen bezüglich der Entwicklung mit:
„Die ÖVP will uns geradezu drängen, ein Heer aufzustellen, das immer eine grosse Gefahr in der Demokratie ist und das man dann nicht mehr anbringt. — Am Ende sind die Leute in jenem Lager von der ÖVP geliefert? Wir müssen demgegenüber hart bleiben. Nichts Ständiges aufstellen. Dilatorisch behandeln. Vor dem Staatsvertrag (Sept.?) auf keinen Fall sich irgendwie festlegen.“ (Dokument 23)
Adolf Schärf, der inzwischen eine Unterredung mit US-General Jesmond D. Balmer hatte, sandte sofort einen Erinnerungsvermerk über dieses Gespräch an die mit der Wehrpolitik befassten Genossen. General Balmer habe ihm u.a. erklärt:
„Grosses Gewicht ist darauf zu legen, dass die österreichische Armee beweglich sei. Zur echten Kriegsführung ist sie gar nicht zu brauchen. Er sei der Meinung, in Ostösterreich sei sogar Artillerie überflüssig. Er würde glauben, dass die Bataillone nicht vier, sondern bloss drei Kompanien haben sollten. Es ist sehr wichtig, mit den Vorbereitungsarbeiten nicht auf die Unterzeichnung des Staatsvertrages zu warten, man müsste sofort daran gehen, sonst würde sich die Sache überstürzen.“ (Dokument 24)
Wenig später, fand am 21. Juli 1949 im Bundeskanzleramt eine Aussprache über Heeresfragen statt, an der von sozialistischer Seite Helmer und Deutsch und von Seiten der ÖVP Figl und Graf teilnahmen. Anschließend erläuterte Deutsch in einem Brief an Figl die sozialistischen Standpunkte zu Heeresfragen:
„Wir sind der Meinung, dass unter den gegebenen Verhältnissen eine definitive Lösung des Wehrproblems nicht möglich ist. Es mangelt sowohl an Zeit, als auch an den nötigen Erfahrungen, um sofort und ohne Übergang eine neue Wehrmacht aufstellen zu können. Deshalb schlagen wir ein Provisorium vor, das es ermöglicht, in ganz kurzer Zeit eine Wehrmacht aufzustellen, die imstande ist, unsere Grenzen im Notfalle zu verteidigen und im Inneren des Landes die Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Je bescheidener das Vorhaben ist, desto eher werden wir es durchführen können.“ (Dokument 25)
Nach einer weiteren Zusammenkunft der Vertreter von ÖVP und SPÖ, in der eine schriftliche Stellungnahme zu den Vorschlägen von Deutsch übergeben wurde, näherten sich die Standpunkte der beiden Parteien an. Deutsch schrieb dazu:
„Die ÖVP wünscht kein Provisorium, sondern sogleich ein Definitivum. Die von der ÖVP gewünschte definitive Wehrmacht lehnt sich allerdings eng an unseren Vorschlag an. Es bleibt beim Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht.“
Nach Aufzählung einiger Punkte hielt Deutsch abschließend fest:
„Aus dieser Darstellung ist zu entnehmen, dass im Großen und Ganzen unser Plan akzeptiert wurde. Die von der ÖVP vorgeschlagenen Änderungen sind nicht grundlegender Art. Bei einigem guten Willen könnte eine Einigung erzielt werden.“ (Dokument 26)
Bürgermeister Körner war allerdings mit den Ausführungen von Julius Deutsch nicht einverstanden. Er vertrat nach wie vor eine gegensätzliche Meinung und nahm zu allen Punkten ausführlich Stellung. Die wesentlichen Aussagen bezogen sich auf die Ablehnung eines definitiven Heeres:
„Nach wie vor warne ich entschieden, schon jetzt auf ein von der ÖVP so lebhaft gewünschtes Definitivum in der Heeresfrage einzugehen. Gegen ein solches Definitivum spricht nicht nur der Umstand, dass aus den bevorstehenden Wahlen machtpolitisch vielleicht eine für uns günstigere Konstellation hervorgehen kann, sondern realistischer noch der Umstand, dass eine wirkliche Lösung der Heeresfrage praktisch überhaupt nicht erfolgen könnte, solange die das Heereswesen betreffenden Einzelfragen des Staatsvertrages nicht entschieden sind. Zwischen dem Abschluss des Staatsvertrages und seiner Ratifizierung durch die verschiedenen Parlamente werden — wie die Geschichte des bulgarischen Friedensvertrages, aber auch die des Atlantikpaktes bewies — viele Monate vergehen, an die sich dann noch die 90 Tage bis zum Abzug der Besatzungstruppen anschließen werden — Zu letzten Festlegungen ist also nach den Wahlen und nach dem Abschluss des Staatsvertrages immer noch — und ohne Überstürzung — Zeit.“ (Dokument 27)
Niemand ahnte damals, dass der Staatsvertrag noch in weiter Feme sein würde. Es fanden daher bis zum Ende des Jahres 1949 noch etliche Besprechungen zur Heeresfrage statt. Bundeskanzler Figl sprach anlässlich eines Empfanges in der Villa von General Keyes mit General Balmer über die Ausrüstung des Bundesheeres und beide waren der Meinung, dass diesbezüglich keine Schwierigkeiten bestehen würden. Balmer meinte jedoch, dass die Zeit nach Abschluss des Staatsvertrages bis zur Benötigung des Bundesheeres zu kurz wäre, um die Leute auszubilden.“ Figl antwortete darauf, ,,dass selbstverständlich der erste Stock des Heeres aus bereits ausgebildeten Leuten bestehen werde.“ (Dokument 28)
Am 7.Dezember 1949 hatte Bundeskanzler Figl eine Unterredung mit General Keyes, in der der General meinte,
„dass die Ausbildung der Gendarmerie, die den Grundstock für das zukünftige Heer bilden soll, nicht mit dem nötigen Ernst durchgeführt wird ... Man müsse sich immer vor Augen halten, dass nach Ratifizierung des Vertrages nur ein Zeitraum von 90 Tagen zur Verfügung stehe und dieser Zeitraum unbedingt zu kurz ist, um dann erst die Ausbildung vorzunehmen. Diese Ausbildung müsste, da ja genügend Ausrüstung zur Verfügung steht, nun mit aller Energie in Angriff genommen werden.“ (Dokument 29)
Nachdem die Staatsvertragsverhandlungen 1949 zu keinem Ergebnis geführt hatten, wurden Gespräche über die Schaffung eines österreichischen Heeres ab Anfang 1950 nur mehr am Rande geführt. Die kommunistischen Streiks im Oktober 1950 zeigten jedoch die Notwendigkeit eines Instrumentes zur Bewahrung der inneren Sicherheit. Daher stimmte die Bundesregierung der Aufstockung der Alarmbataillone und später auch der Aufstellung einer Freiwilligentruppe zu. Mitte 1951 kam es zu neuerlichen Gesprächen über den Staatsvertrag und über zusätzliche Maßnahmen für die innere und äußere Sicherheit. Die Deputies berieten praktisch ständig weiter, aber es herrschte Stillstand. Am 2. Oktober 1951 fand eine Unterredung zwischen dem amerikanischen Botschafter Donnelly und General Irwin auf der einen Seite und Bundeskanzler Figl, Vizekanzler Schärf, den Ministern Gruber und Helmer, sowie Staatssekretär Graf auf der anderen Seite statt. Botschafter Donnelly erklärte:
„Eine der wichtigsten Entwicklungen in der Zwischenzeit sei die Sache mit dem Staatsvertrag. Bei der Konferenz der drei Außenminister hat man sich darauf geeinigt, dass man 1.) mit dem Plan für den Staatsvertrag so rasch als möglich beginnen sollte, 2.) eine Zusammenkunft der stellvertretenden Außenminister stattfinden solle, 3.) dass ein Alternativplan für den Fall ausgearbeitet werden sollte, wenn der Staatsvertrag wegen der Russen nicht zustande kommt....“
Und weiter: ,,Der Alternativplan ist bereits in den Händen von Minister Gruber. Sollten die Russen nicht geneigt sein, diesen Alternativplan anzunehmen, dann werden die drei Westmächte, wie bereits mit Min. Gruber besprochen, die Sache vor die Vereinten Nationen bringen. Es habe den Anschein, als ob die Russen nicht gewillt seien, irgendeinen Plan anzunehmen. Auf alle Fälle müsse man jedoch mit dem Sicherheitsplan weiterkommen für den Fall, dass die Russen den Staatsvertrag oder den Alternativplan annehmen. Die amerikanische Regierung (das Verteidigungsministerium und General Irwin) glauben nicht, eine rasche Behandlung des Staatsvertrages befürworten zu können, wenn nicht irgendwelche Maßnahmen ergriffen würden, um die Sicherheit Österreichs zu garantieren. Der Ausgangspunkt für die Sicherheit Österreichs wären natürlich die 5.000-Mann-Gendarmerie. (Dokument 30)
Mit dieser 5.000-Mann-Gendarmerie war allerdings nicht die „allgemeine“ Gendarmerie gemeint, sondern eine „besondere bzw. bewaffnete“ Gendarmerie, die einige Monate später, ausgerüstet durch die westlichen Alliierten, als B-Gendarmerie der Vorläufer des Bundesheeres wurde.
Von sowjetischer Seite wurden diese „Vorarbeiten zur Wiederaufrüstung“ misstrauisch betrachtet. General Liebitzky berichtete mehrmals über Besuche des russischen Oberstleutnant Cernoff, die er als eine Art Überwachung empfand. In einem Gespräch am 31. Oktober 1951 gab Cernoff zu bedenken,
„die Polizei und Gendarmerie sei weitaus stärker als notwendig, verfüge u.a. über Panzerspähwagen, (die nicht vom Himmel gekommen sein können) und es werde so — verbotenerweise — das Heer vorbereitet.“ (Dokument 31)
Und beim nächsten Besuch am 28. November 1951 äußerte Cernoff:
„Die Spielerei im Westen werde Österreich um den Staatsvertrag bringen. ... Es sei klar, dass die Gendarmen weitgehend militärisch ausgebildet werden, sogar bis zur Kompanie.“ Und weiter: „Es sei schade, dass sich Österreich dazu hergebe und die Infanterie für die Amerikaner als Kanonenfutter beistellen wolle. So müsse eben befürchtet werden, dass Österreich nicht unabhängig bleiben werde, wenn der Staatsvertrag käme.“ (Dokument 31)
Die westlichen Alliierten unterstützten jedoch weiterhin die Aufstellung der B-Gendarmerie und das Oberkommando der US-Streitkräfte machte in einem vertraulichen Schreiben an Figl detaillierte Angaben über den Beitrag der USA zur Aufrüstung und Finanzierung:
„Zweck des Programmes ist, über den Stand der regulären österreichischen Gendarmerie hinaus eine uniformierte Truppe in der Stärke von 5.000 Mann zu organisieren, auszurüsten, auszubilden und aufrechtzuerhalten.“ (Dokument 32)
Im Jahr 1952 waren die Vorbereitungen schließlich so weit fortgeschritten, dass im August die B-Gendarmerie als eine Sonderformation der allgemeinen Gendarmerie gebildet wurde. Sie umfasste 3.000 Mann und wurde in den nächsten beiden Jahren auf 8.000 Mann aufgestockt.
Die politischen Differenzen gingen jedoch weiter. Am 3. Juli 1953 schrieb der steirische Landeshauptmann Josef Krainer an Bundeskanzler Leopold Figl:
„Es erscheint mir unnotwendig wieder ein umfangreiches Ministerkollegium erweitert durch einige Fachleute mit der Wahrnehmung der militärpolitischen Angelegenheiten zu betrauen und zu bemühen; hierbei kommt meist wenig heraus! Auf Grund der Koalitionsvereinbarungen steht doch das Verteidigungsministerium klar der ÖVP zu. Es kann daher nichts im Wege stehen, wenn Du, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, die Aufgaben eines Verteidigungsministers solange persönlich wahrnimmst, bis ein eigener Ressortminister möglich ist.“ (Dokument 33)
Im September 1953 fanden abermals Besprechungen zwischen Parteienvertretern und Vertretern der amerikanischen Besatzungsmacht in Österreich statt. Staatssekretär Ferdinand Graf berichtete darüber an Figl:
„Im Staatsvertragsentwurf haben sich bereits alle vier Mächte über die Aufstellung eines österreichischen Bundesheeres geeinigt. Es könnte bereits jetzt versucht werden, die Genehmigung zur Aufstellung wenigstens eines Teiles der zugestandenen Stärke vom Alliierten Rat zu erreichen .... lch weise aber auch darauf hin, dass die Aufstellung eines Bundesheeres zu einer auch im Staatsvertragsentwurf vorgesehenen Viermächtekontrolle führen wird. Dies würde für die Sowjets die Möglichkeit bedeuten, auch im Westen zu einer Mitkontrolle zu gelangen.“
Und einige Tage später, am 23.September 1953 übermittelte Graf eine kurze Stellungnahme zu offenen Punkten des Wehrgesetzes und der Organisation des Bundesheeres, sowie zur Unterbringung. Darin hieß es u.a.:
„Die gesetzliche Grundlage des künftigen Bundesheeres bei Berücksichtigung der militärischen Klauseln des Staatsvertrages ist soweit vorbereitet, als es die noch bestehenden Differenzen mit der SP (in der Hauptsache handelt es sich um personalrechtliche Fragen) zuliessen .... Die noch bestehenden Differenzen mit der SP wären ehestens zu beheben und das Landesverteidigungsgesetz so fertig zu stellen, dass es gegebenenfalls in kürzester Frist verabschiedet und in Kraft gesetzt werden kann.“ (Dokument 35)
Es sollte aber noch fast zwei Jahre bis zum Juli 1955 dauern, bis nach Abschluss des Staatsvertrages ein Amt für Landesverteidigung innerhalb des Bundeskanzleramtes eingerichtet werden konnte. Das neue Bundesheer bekam von den Amerikanern, aber auch von den Briten, Franzosen und Sowjets als Einstandsgeschenk zahlreiche Waffen und Munition sowie andere Ausrüstung. Bei der Dauer der Wehrpflicht kam es zu einem Kompromiss zwischen SPÖ (6 Monate) und ÖVP (12 Monate): Man einigte sich auf 9 Monate. Einzig in Personalfragen gab es noch Differenzen, da Bundeskanzler Raab in der Mehrheit Offiziere vorschlug, die seiner politischen Seite zuzurechnen waren. Vizekanzler Schärf lehnte das entschieden ab, stimmte aber schließlich im Juni 1956 einem selbständigen Ministerium unter der Führung von Ferdinand Graf, dem der sozialistische Staatssekretär Dr. Karl Stephani beigestellt wurde..
Gregory Weeks
Literatur
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Walter Blasi (Hg.), B-Gendarmerie, Waffenlager und Nachrichtendienste. Der militärische Weg zum Staatsvertrag, Wien 2005.
Wolfgang Etschmann (Hg.), Zum Schutz der Republik Österreich. 50 Jahre Bundesheer, 50 Jahre Sicherheit. Gestern – Heute – Morgen. Beiträge zur Geschichte des Österreichischen Bundesheeres, Wien 2005.
Peter Fichtenbauer und M. Christian Ortner (Hg.), Die Geschichte der österreichischen Armee von Maria Theresia bis zur Gegenwart in Essays und bildlichen Darstellungen, Wien 2015.
Franz Hesztera, Von der „A-Gendarmerie“ zur B-Gendarmerie. Der Aufbau des Österreichischen Bundesheeres 1945 bis Herbst 1952, Mattighofen 1999.
Robert Kriechbaumer, Wolfgang Mueller und Erwin A. Schmidl (Hg.), Politik und Militär im 19. und 20. Jahrhundert: Österreichische und europäische Aspekte. Festschrift für Manfried Rauchensteiner, Wien—Köln—Weimar 2017.
Peter Pelinka und Gerhard Steger (Hg.), Auf dem Weg zur Staatspartei. Zur Geschichte und Politik der SPÖ seit 1945, Wien 1988.
Franz Olah, Die Erinnerungen. Wien 1995.
Anton Pelinka und Rolf Steiniger (Hg.), Österreich und die Sieger, Wien 1986.
Oliver Rathkolb, Washington ruft Wien. US-Großmachtpolitik und Österreich 1953–1963, Wien—Köln—Weimar 1997.
Manfried Rauchensteiner, Die Zwei. Die Große Koalition in Österreich 1945–1966, Wien 1987.
Christian Stifter, Das westalliierte Interesse an der Wiederaufrüstung Österreichs 1945–1955, Universität Wien Diplomarbeit 1990.
Gerald Stourzh, Wolfgang Mueller, Der Kampf um den Staatsvertrag. Ost-West-Besetzung, Staatsvertrag und Neutralität Österreichs, Göttingen 2020.
Wilhelm Svoboda, Franz Olah. Eine Spurensicherung, Wien 1990.
Wilhelm Theuretsbacher und Rolf M. Urrisk, Ich gelobe ... ein Heer zwischen politischen und militärischen Blöcken, Wien 2005.
Fritz Weber, Der kalte Krieg in der SP. Koalitionswächter, Pragmatiker und Revolutionäre Sozialisten 1945–1950, Wien 1986.