Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges 1945 waren die Rundfunksender unter Kontrolle der Besatzungsmächte, erst 1953 wurde das UKW-Funkverbot aufgehoben, wodurch Radio Österreich beginnen konnte, bundesweit zu senden. Davor waren nur regionale Sender möglich. Die Bundesregierung plante eine Zentralisierung auch gegen Widerstände, die vor allem aus den Bundesländern kamen: Als die französischen Behörden die Sendergruppe West an die Landesbehörden abgeben wollten, verweigerte die Vorarlberger Landesregierung, die Kontrolle an Wien abzugeben. Schließlich entschied der Verfassungsgerichtshof 1954, dass alle Rundfunkangelegenheiten Bundessache seien.
In weiterer Folge wurden die Rundfunkanlagen unter Kontrolle der Besatzungsmächte schrittweise an die Bundesregierung übergeben (Dokument 1). Verantwortlich war zwar Karl Waldbrunner (SPÖ) als Verkehrsminister, jeder Schritt musste aber innerkoalitionär abgestimmt werden. Die Quellen legen dabei nahe, dass der meiste Aufwand allerdings bei der Frage der Postenbesetzungen betrieben wurde. Eine Diskussion zwischen Waldbrunner, Kanzler Julius Raab (ÖVP) und Vizekanzler Schärf (SPÖ) ist in einem Aktenvermerk von Jänner 1954 erhalten: Raab blockierte die Übergabe der britischen Sender und forderte als Bedingung u.a. den Austausch des von der SPÖ eingesetzten öffentlichen Verwalters gegen einen ÖVP-Mann. Dafür wurde diskutiert, ersteren bei gleichen Bezügen als „Direktor“ zu belassen: ein Hinweis darauf, wie Postenbesetzungen im Rundfunk in Zukunft gelöst werden sollten (Dokument 2). Ganz ähnlich wie im Rundfunk verlief die Diskussion bei der „Austria-Wochenschau“ (Dokument 3): Die ÖVP forderte, dem von der SPÖ ernannten Produktionsleiter einen zweiten, gleichberechtigten ÖVP-Mann zur Seite zu stellen. Waldbrunner klagte, dass die ÖVP doch bereits die Wiener Zeitung und den Bundespressedienst dominiere. Die Koalitionspartner legten dabei bemerkenswerte Kreativität an den Tag: Waldbrunner bot an, dass der SPÖ-Produktionsleiter alle politischen Sendungsinhalte dem von der ÖVP installierten kaufmännischen Leiter vorlege. Raab hätte lieber als weitere Hierarchieebene zwei gleichberechtigte Geschäftsführer eingesetzt – obwohl der Rechnungshof bereits eine Beschränkung des Personals gefordert hatte.
1957 wurde der öffentliche Rundfunk schließlich zum ORF, das Gründungsgesetz wurde jedoch bereits 1955 in der Koalition verhandelt. Im Juli, kaum zwei Monate nach Unterzeichnung des Staatsvertrags, übermittelte Waldbrunner einen Gesetzesentwurf an den Vorsitzenden der SPÖ, Adolf Schärf. Das Dokument, aus dem u.a. die Zusammensetzung und Aufgabe der Rundfunkkommission als oberstem Organ sichtbar wird, ist im Nachlass Schärfs erhalten geblieben und dokumentiert das Zustandekommen der rechtlichen Grundlagen des ORF (Dokument 4). Eindeutig ist darin die Verantwortlichkeit des Verkehrsministeriums. Dies sollte sich nach der Nationalratswahl 1956 ändern. In den Parteienverhandlungen nahm das Rundfunkgesetz eine prominente Rolle ein, ein Erinnerungsvermerk (Dokument 5) zeigt die Schärfe des Konflikts zwischen der erstarkten ÖVP, die die Rundfunkkompetenzen an das Bundeskanzleramt ziehen wollte, und der geschwächten SPÖ. Oliver Rathkolb bemerkte dazu: Raab „konnte sich nicht vorstellen, dass eines Tages der Bundeskanzler nicht von der ÖVP gestellt werden“ würde. Ein weiterer Vermerk über eine Verhandlung zwei Wochen später legt ein Nachgeben der SPÖ in dieser Frage nahe (Dokument 6). Eine Einladung Raabs an Schärf zum Ministerkomitee für Rundfunkfragen (Dokument 7) zeigt die geplanten Kosten und Finanzierungsmöglichkeiten für den zu gründenden ORF sowie die aktuellen Hörer:innen- und Seher:innenzahlen: Für das Fernseh-Versuchsprogramm, das seit 1955 ausgestrahlt wurde, waren im Oktober 1956 gerade einmal 3.146 Menschen angemeldet. Der 3. Komiteebericht (Dokument 8) nennt für den 1. Jänner 1957 bereits die Zahl von 5.907 Fernsehteilnehmer:innen.
Neben dem ständig präsenten Thema der (paritätischen) Postenbesetzungen war auch der Einfluss der Bundesländer schon früh Thema der Rundfunkpolitik. Ein Sitzungsprotokoll aus den Beständen des Karl-von-Vogelsang-Instituts (Dokument 9) über eine Zusammenkunft von Bundeskanzler Raab mit den ÖVP-Landeshauptleuten verdeutlicht das: Unter der Führung des Landeshauptmannes von Salzburg, dem späteren Bundeskanzler Josef Klaus, forderten besonders die westlichen Länder mehr Einfluss: Sie wären vor der Übergabe der Rundfunkkompetenzen vom Verkehrsministerium an die Bundesregierung deutlich mehr eingebunden gewesen. Raab drohte daraufhin sogar mit dem Rückzug aus den Verhandlungen, er würde Schärf mitteilen, dass er von den Landeshauptleuten „desavouiert“ wurde.
Besonders im Fernsehen wurde „angesichts der dominierenden Bedeutung des visuellen Eindrucks“ (Dokument 10) besonderes Augenmerk auf ausgewogene (d.h. in diesem Kontext immer keinen Koalitionspartner bevorzugende) Berichterstattung gelegt. Im Dezember 1958 wurde in einem ÖVP-Papier die „geradezu provozierende Bevorzugung der SPÖ“ beklagt und mit Beispielen unterfüttert: „[D]ie Eröffnung eines Studentenheimes wird dazu benützt, nahezu die gesamte sozialistische Prominenz zu zeigen“.
Nach der Nationalratswahl im Oktober 1962 wurde die Aufteilung der Einflusssphären im Rundfunk vordringlichstes Thema der von Kanzler Alfons Gorbach (ÖVP) und Vizekanzler Bruno Pittermann (SPÖ) geleiteten Koalitionsverhandlungen. Im Arbeitsübereinkommen vom 12. März 1963 (Dokument 11) wurde das Thema ORF unmittelbar nach den Ressortaufteilungen behandelt. Das Augenmerk lag wiederum auf Postenbesetzungen. Diese Vereinbarungen sickerten schließlich an Hugo Portisch, Chefredakteur des Kurier, durch, der das Rundfunkvolksbegehren initiierte, in dem sich über 800.000 Unterzeichner:innen für eine Entpolitisierung des ORF einsetzten.
Remigio Gazzari
Literatur
Wolfgang Pensold, Auf rot-weiß-roter Welle. Eine Geschichte des österreichischen Rundfunks, in: Matthias Karmasin/Christian Oggolder (Hg.), ‚Österreichische Mediengeschichte. Band 2: Von Massenmedien zu sozialen Medien (1918 bis heute), Wiesbaden 2019, 160.
Wolfgang Mueller, Informationsmedien in der „Besatzungszeit“. Tagespresse, Rundfunk, Wochenschau 1945–1955, in: Matthias Karmasin/Christian Oggolder (Hg.), ‚Österreichische Mediengeschichte. Band 2: Von Massenmedien zu sozialen Medien (1918 bis heute), Wiesbaden 2019, 91.
Oliver Rathkolb, Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2015, Wien 2015, 266.