Durch das Zusammentreffen von Föderalismus und Energiewirtschaft in Österreich ergab sich auch die Frage nach der energiepolitischen Selbständigkeit der Länder, welche bei den wesentlichen Umsetzungen von Landesinteressen nach 1945 zu berücksichtigen war.
Ein Kräftemessen zwischen Bund und Ländern wurde erst durch die gemeinsamen Probleme, wie alliierte Besatzung, zerstörte Infrastruktur, Rohstoffmangel etc. und durch die Länderkonferenzen ab September 1945 überhaupt möglich. Die Bedeutung der Länderkonferenzen soll in dieser Edition nur gestreift werden, zumal sie in der wissenschaftlichen, historischen und juristischen, Literatur hervorragend dokumentiert ist.
Die staatspolitisch wohl bedeutungsvollste Tat der jungen Republik in den ersten Monaten ihres Bestehens war ihr geschlossenes Bekenntnis zum ungeteilten Gesamtstaat. Dies war die grundlegende Voraussetzung für alle folgenden politischen Entscheidungen. Das Bekenntnis zum Gesamtstaat hat die Spannungen zwischen Bund und Länder in der Energiepolitik nicht ganz verschwinden lassen aber trotzdem ein vielfaches getan um solche Konflikte in Zukunft zu mäßigen.
Doch die Interessen der E-Wirtschaft waren zu vielschichtig, um sie nur auf die Konfrontation Bund-Länder zu reduzieren. Zu heftig prallten in der Frage der Energieversorgung Ideologien und Gruppeninteressen aufeinander. Eine Weichenstellung für die spätere Mitsprache der Parteien in inhaltlicher und personeller Hinsicht erfolgte schon im Winter 1945/Frühling 1946.
Die Beschlüsse des Ministerrates vom 21. Mai 1946 hinsichtlich des Energiewirtschafts-Verstaatlichungsgesetzes gingen von der Voraussetzung aus, dass sobald wie möglich Parteienverhandlungen über die Frage der Gesamtverstaatlichung beginnen sollten.
Die Schwierigkeiten begannen schon damit, als die KPÖ, die mit Karl Altmann ab Dezember 1945 ohnehin den Bundesminister für Energiewirtschaft und Elektrifizierung stellte, sich unterrepräsentiert fühlte.
Der parlamentarische Unterausschuss sollte, laut Ministerrat, die Plattform für Parteienverhandlungen sein. Als sich jedoch herausstellte, dass der vom Nationalratsausschuss für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung eingesetzte Unterausschuss keine KP-Vertreter aufwies, drohte die KPÖ mit dem Abbruch der Verhandlungen.
Bundesminister Peter Krauland, als zuständiger Ressortchef für Wirtschaftsplanung, argumentierte derart, wonach der Unterausschuss ohnehin nur über bisher eingebrachte Anträge zur Verstaatlichung zu beraten und seine Ansicht dem Nationalratsausschuss zu berichten hätte.
Trotz dieses Herunterspielens ist der Versuch zu erkennen, die KPÖ stärker von der Entscheidungsfindung auszuschließen.
Bis zum Ausscheiden Altmanns aus der Regierung im November 1947 war es somit Ziel der KPÖ, das Zünglein an der Waage zwischen ÖVP und SPÖ darzustellen. Ein Versuch, der kläglich scheiterte.
Die maßgeblichen Kreise in der Regierung aus SPÖ und ÖVP hielten dabei aber nur die Linie konsequent ein, die schon die Provisorische Regierung Renner einige Monate vorher eingeschlagen hatte, nämlich den Einfluss der KPÖ und der Sowjetunion nicht das Maß des Erträglichen übersteigen zu lassen. So war auch seinerzeit die Ablehnung einer gemeinsamen sowjetisch-österreichischen Erdölgesellschaft durch Renner ein Zeichen an die Westalliierten, keine Marionette der Sowjets zu sein. Als Leitsatz galt: Jede alliierte Unterstützung ist willkommen, doch darf daraus keine langfristige Abhängigkeit entstehen.
Diese Sicht der Dinge stellte pragmatische Überlegungen in den Vordergrund, obwohl dabei ebenso ideologische Fragen wie solche der künftigen Ausrichtung wesentlicher energiewirtschaftlicher Zweige der österreichischen Grundstoffindustrie eine Rolle spielen konnten. Den Schluss aus dieser Entwicklung zu ziehen, wonach die Vorstellungen von ÖVP und SPÖ deckungsgleich waren, ist trügerisch und falsch. (Im Kapitel „Verstaatlichung“ wird das komplette Spektrum der wirtschaftspolitischen Machtentfaltung nach 1945 deutlich.)
Eine Gegenüberstellung der Standpunkte der Parteien in der Verstaatlichung der Energiewirtschaft zeigt die Unterschiede: Während die KPÖ im September 1946 meinte, dass alles, was über den Landesverbrauch hinausginge, in den „Bundesverbund“ einbezogen werden sollte, beharrte die SPÖ auf vollständige Verstaatlichung. Die Haltung der ÖVP war geteilt. Julius Raab forcierte ebenfalls eine konsequente Verstaatlichung, wogegen die Bundesländer eigene Rechte geltend machten.
Die Bundesländer verwiesen darüber hinaus auf die Kompetenzverteilung, die anlässlich der Gesetzwerdung des B-VG und seiner Novellierungen in den Jahren 1920, 1925 und 1929 einer eingehenden wirtschaftlichen, juristischen und politischen Überprüfung unterzogen worden war und sich bis zur Einführung des Deutschen Elektrizitätsrechtes bewährt hatte.
Bereits im März 1946 verfassten die Landeshauptleute bzw. deren Stellvertreter bei einer Beratung in Salzburg die Resolution bewährte Traditionen in Bezug auf Elektrizitätswirtschaft und Wasserkraft zu erhalten:
„( ... ) Die Träger fast einer jeden über bloß örtliche Bedeutung hinausgehende Elektrizitätsversorgung in Österreich waren und sind die Österreichischen Bundesländer. ( ... ) Im Bewusstsein dieser Leistungen haben die Länder ... in der Resolution vom 10. 1. 1946 die Notwendigkeit anerkannt, neben den Landeselektrizitätsgesellschaften eine sogenannte Verbundgesellschaft zu stellen. Diese Gesellschaft wird ganz bestimmte Aufgaben zu erfüllen haben, ... die nicht gegen sondern nur mit den Landesgesellschaften gelöst werden können. ( ... ) Auch der Stromexport ist bisher ausschließlich durch die Landesgesellschaften betrieben worden und der gesamtösterreichischen Handelspolitik zugute gekommen. ( ... )“ (Dokument 1)
Jede Einschränkung der verfassungsrechtlichen Zuständigkeit der Länder wurde grundsätzlich a priori abgelehnt. Damit wäre auch ein wirtschaftlicher Schaden für die Länder zu erwarten gewesen.
Die Bedeutung der Verstaatlichungspolitik als Grundlage der beginnenden Prosperität ist heute unbestritten. Erst durch diese Maßnahmen war es möglich, Werte für die österreichische Wirtschaft zu sichern, die ansonsten drohten, an die Alliierten verloren zu gehen.
Eine diesbezügliche Gefahr ging nicht ausschließlich von der Sowjetunion aus, auch die Westalliierten meldeten Ansprüche an, von denen allerdings jene des US-Elements zumeist nur „Theaterdonner“ waren. Der oben erwähnte „Bundes-Verbund“ war das Grundmodell der Verbundgesellschaft.
Bereits am 21. März 1946 eröffnete das Hauptquartier der US-Streitkräfte (Delegationsleiter Snow) den Vertretern der Bundesministerien für Energiewirtschaft, Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung sowie für Land- und Forstwirtschaft bezüglich des Kraftwerkprojektes Kaprun folgendes:
„( ... ) Die Amerikaner sind bereit, die von ihnen als reichsdeutsches Eigentum beschlagnahmte Baustelle Kaprun samt allen dort befindlichen Baustoffen, Baugeräten und Bauhilfseinrichtungen sofort freizugeben, wenn unter Beteiligung des Bundes und aller in den Bundesländern bestehenden Wasserkraft- und Elektrizitätsgesellschaften eine das ganze österreichische Staatsgebiet umfassende Gesellschaft -eine sogenannte Verbundgesellschaft- gegründet wird, in der kein Teilnehmer mehr als 25% und weniger als 5% der Aktien besitzt.
Mister Snow ist nicht ermächtigt den Übernahmepreis offiziell bekanntzugeben, der von dieser Verbundgesellschaft für die Überlassung der begonnenen Anlage Kaprun gefordert wird; er ließ aber durchblicken, dass überhaupt kein Preis gefordert werden wird.( ... )“ (Dokument 2)
Die Katastrophenwinter 1945/46 und 1946/47 hatten ein übriges dazu beigetragen, die Energieversorgung vorrangig und energisch zu behandeln. Auch die technische Ausgangssituation war besorgniserregend: Zahlreiche Kraftwerke, Umspannwerke und Leitungen waren zerstört, beschädigt oder demontiert. Die betriebsfähigen Kraftwerke konnten oft wegen Brennstoffmangel nicht betrieben werden. Die Investitionen für den Wiederaufbau der Energieanlagen wurden, wie auch in den meisten anderen Wirtschaftszweigen, durch ERP-Mittel aufgebracht.
Hinzu kam allerdings auch eine bundeslandspezifische Behandlung dieses Problems. Die sowjetische Besatzungszone war durch die Kriegshandlungen am schwersten getroffen worden. Darüber hinaus litt die Bevölkerung in Wien, Niederösterreich, Burgenland und dem Mühlviertel auch am härtesten unter dem Rohstoffmangel.
Zu Beginn der Heizperiode (Ende September) 1946–1947 beschuldigte die Sowjetunion die österreichische Bundesregierung, die Versorgung in der östlichen Zone mit Brennstoffen und elektrischer Energie zu behindern. Demnach würde die Verteilung von Strom und Brennmaterial von Wien aus zugunsten der westlichen und südlichen Bundesländer gesteuert werden. Der sowjetische Hochkomissar machte die österreichische Staatsspitze umgehend darauf aufmerksam, dass sich die Sowjetseite in Zukunft mit der „Diskriminierung“ ihrer Zone bei der Versorgung mit Energie nicht abfinden werde. Ein zukünftiges Entgegenkommen gegenüber den Wünschen der österreichischen Regierung sollte davon abhängen.
Rein optisch wurde die Position der Sowjets auch dadurch gestärkt, dass Vorarlberg und Tirol sich nicht den Direktiven des „Bundeslastverteilers“ (Stromverteilung) unterordneten. Aus diesem Grund schlug das sowjetische Element vor, ein Energieverteilungsdirektorium (EVD) zu schaffen, um so, nach einem entsprechenden Verteilungsplan, die erforderliche Erhöhung der Lieferungen von festen und flüssigen Brennstoffen, sowie von Strom, zu erreichen.
Dieses EVD wurde 1946 tatsächlich installiert. Nach dem Ausscheiden Altmanns 1947 aus der Regierung wurde das EVD paritätisch unter zwei ÖVP- und zwei SPÖ-Ministerien aufgeteilt, wobei den Vorsitz innehatte.
Durch die Umstrukturierungen der österreichischen Bundesregierung 1949 (Schlagwort: Ministeriumsauflösungen) zerfiel das EVD und wurde zum politischen Zankapfel der Parteien.
Das Jahr 1947 brachte eine besondere Zäsur. Bei der Schaffung des Gesetzes über die Verstaatlichung der Elektrizitätswirtschaft (2. Verstaatlichungsgesetz) fühlten sich Länder und Gemeinden von der Regierung übergangen.
Bereits auf einer Tagung der Gemeindemandatare Anfang Juli 1947, an der alle Bundesländer außer Wien und Burgenland teilnahmen, wurde eine Petition an die Bundesregierung und die einzelnen Landesregierungen gestellt. Demnach sollte das 2. Verstaatlichungsgesetz umgehend novelliert werden und die weitere Vorgangsweise nur nach Absprache mit dem bei dieser Tagung geschaffenen „Hauptverband der Landesarbeitsgemeinschaften kommunaler Versorgungsunternehmungen Österreichs“ erfolgen.
Wie schwer es allerdings war, Partikularinteressen einstimmig zu ventilieren, zeigte sich bald an der Person des Präsidenten dieses „Hauptverbandes“, des Grazer Stadtrates Otto Möbes (SPÖ).
Nachdem Möbes einige Monate nach Konstituierung des Verbandes Verständnis für die Verstaatlichung der Elektrizitätswerke äußerte, schlug ihm ein Sturm der Entrüstung der meisten Gemeinde-und Ländervertreter entgegen. Dazu kam die Tatsache, dass Möbes im Hauptverband eindeutig ideologisch motivierte Ziele umzusetzen versuchte, die in nichts anderem bestanden, als das 2. Verstaatlichungsgesetz rigoros zu forcieren. Jeglicher Widerstand der Länder und Gemeinden wurde durch seine Amtsführung ad absurdum geführt.
In Absprache mit Karl Waldbrunner, Staatssekretär im Bundesministerium für Vermögenssicherung, war hier eine „Interessensvertretung“ tätig, welche die gegenteiligen Wünsche ihrer Mitglieder vertrat.
Allerdings lässt die weitere Entwicklung des „Hauptverbandes“ den Schluss zu, dass dieser Zusammenschluss zunehmend den Interessen der SPÖ entglitt.
In einem Brief teilte Möbes am 26. November 1948 Waldbrunner folgendes mit:
„( ... ) Es hat sich selbstverständlich ..... nicht verhindern lassen, dass die Mitglieder dieses Hauptverbandes nach verhältnismäßig kurzer Zeit darauf gekommen sind, dass meine Bestrebungen sich in dieser Richtung bewegen.( ... ) Es sind ÖVP, und leider auch einige SPÖ-Kräfte am Werk, die eine Novellierung des 2. Verstaatlichungsgesetzes betreiben. ( ... )“ (Dokument 14)
Mehrere in dieser Arbeit veröffentlichte Dokumente unterstreichen die rege Interventionspolitik beider Seiten.
So sprachen Abordnungen der Länder und Gemeinden des ab Ende 1948 ÖVP-dominierten „Hauptverbandes“ mehrmals bei Bundeskanzler Figl vor. Mit wechselndem Erfolg, wie der Vermerk „Nicht genehmigt“ bei einer diesbezüglichen Petition am 20. Jänner zeigt. (Dokument 22)
Trotz diverser interner Auseinandersetzungen konnten die Länder und Gemeinden ihre Linie halten und sie verstanden es geschickt, die jeweilige politische Lage für ihre Interessen zu nützen.
In diesem Zusammenhang kam der oben bereits erwähnten „Lastverteilung“ ein besonderer Stellenwert zu: Im Sinne ihrer Gründungsintention sondierte diese Stelle, die in Form eines Bundeslastverteilers (Zentrale im Bundesministerium für Energiewirtschaft) und neun Landeslastverteiler (Landesregierungen) über ganz Österreich verteilt war, die allgemeine Rohstoffverteilung und Wirtschaftsplanung.
Auch die Alliierten waren in der Lage innerhalb dieser Stelle entsprechenden Einfluss auszuüben.
In mehreren Fällen gelang es einzelnen Bundesländern Anordnungen des Bundeslastverteilers unter Verweis auf die Kompetenzhoheit der Landesregierung abzuschwächen bzw. vollständig zu umgehen.
Diese relative Stärke der Länder ging selbstverständlich zu Lasten der Bundesgewalten, deren Hauptproblem die unübersichtliche Gliederung von Kommissionen und Interessenslagen war.
Erst durch die Lastverteilungsnovelle auf die sich die beiden Regierungsparteien 1948 verständigten wurden die Befugnisse des Bundesministers für Energiewirtschaft und Elektrizität, nunmehr des SPÖ-Ministers Migsch, dahingehend eingeengt, dass im Falle der Uneinigkeit sich die Lastverteilung den Kompetenzen des EVD unterzuordnen hat. (Dokument 10)
Es ist im Übrigen klar nachzuvollziehen, wie die politischen Parteien ihre Einflusssphären nach 1948 absteckten: Während in der Verbundgesellschaft ein personelles Übergewicht seitens der SPÖ auftrat, setzten sich bei den meisten Landesenergiegesellschaften ÖVP-Vertreter durch. Beispielweise sollen hier die Landessondergesellschaften (Landes- und Bundesbeteiligung) „Tauern“, „Enns“, „Donau“ und „Drau“ genannt werden, wo überall die ÖVP eine Mehrheit im Aufsichtsrat stellte.
In einer Parteienvereinbarung über die Gesellschaften der Energiewirtschaft vom 21. Juni 1948 wird dieses Proporzsystem deutlich:
„ { ... ) Durch das Hinzukommen von zwei Betriebsräten, welche der SPÖ angehören, verschiebt sich das vereinbarte Kräfteverhältnis {in der Verbundgesellschaft, Red.) zugunsten der SPÖ. Es wird vereinbart, dass der Vertreter Salzburgs ... , der an sich krankheitshalber seine politischen Mandate zurückgelegt hat aus dem Aufsichtsrat der Verbundgesellschaft ausscheidet und das Land Salzburg einen ÖVP-Mann als Vertreter zu entsenden hat. ( ... )“ (Dokument 11)
Bemerkenswert ist das Faktum, dass die Mehrzahl der gegenständlichen Kraftwerksbauten von der Alpen-Elektrowerke AG seit dem Jahr 1938 geplant oder begonnen wurden.
Der politischen Verstimmung, die eine unproduktive Pattstellung im Energiebereich zur Folge hatte, wurde zu Beginn des Jahres 1949 von Seiten des Bundesministeriums für Energie mit einem Bundeselektrizitätsgesetz begegnet.
Die Reaktionen der Landeshauptleute auf diesen Gesetzesentwurf fielen überwiegend negativ aus. Alle sechs relevanten Bundesländer (Vorarlberg, Tirol, Salzburg, Steiermark, Kärnten und Oberösterreich) beklagten neuerlich die Missachtung ihrer Interessen und Meinungen.
Vom Standpunkt dieser Bundesländer wäre die vollständige Einbeziehung in den Verbund des Elektrizitätswesens erneut eine schwere verfassungsrechtliche Einbuße und darüber hinaus auch ein empfindlicher wirtschaftlicher und politischer Schaden gewesen. Nach ihrer Ansicht würde die Energiewirtschaft damit zentralisiert und ausschließlich dem Bundesminister für Energie ausgeliefert werden.
Aufgrund einer Initiative des Salzburger Landeshauptmannes Rehrl wurde zusammen mit den legistischen Stellen der Landesregierungen in Linz, Innsbruck, Bregenz und Graz ein Länderentwurf ausgearbeitet.
Wie sehr Landespolitiker sich den Anforderungen und realpolitischen Interessen ihres Bundeslandes verpflichtet fühlten, beweist das Verhalten des SPÖ-Landeshauptmannes Piesch von Kärnten, der zur Mitarbeit an diesem Länderentwurf bereit war, entgegen der offiziellen Parteilinie der SPÖ.
Ende des Jahres 1949 fand zum zweiten Mal seit Kriegsende eine Nationalratswahl statt. Vor diesem Hintergrund wurde die Diskussion über die Energiepolitik zunehmend nervös geführt. Energieminister Migsch erließ als Reaktion auf den Protest der Bundesländer eine Frist für die Gesetzeseinbringung, die nach der Rechtsauffassung der Länder zu knapp ausfiel. Erst nach dem Einschalten des Bundeskanzleramtes wurde die Frist verlängert.
Der energiewirtschaftliche Fachbeirat der ÖVP glaubte in seiner Sitzung am 11. Jänner 1949 sogar die „Undurchführbarkeit“ des Ministerialentwurfes zu erkennen. Dieses Gremium vertrat die Auffassung, dass es Aufgabe des ÖVP-Nationalratsklubs wäre den Gesetzesentwurf abzulehnen, wenn das Gesetz den Ministerrat ohne Bindung passieren sollte.
Viktor Müllner, Präsident der NEWAG und einflussreicher ÖVP-Landespolitiker, sah im März 1949 „keine reale Möglichkeit“ das Gesetz vor den Wahlen im Oktober einvernehmlich zu verabschieden. Die Länder agierten somit auch aus taktischem Kalkül.
In einem Schreiben von Staatssekretär Waldbrunner an den niederösterreichischen Landeshauptmann-Stellvertreter Franz Popp (SPÖ) kommt die Empörung der Bundes-SPÖ zum Ausdruck:
„( ... ) Das Quertreiben um die Durchführung des 2. Verstaatlichungsgesetzes hört leider nicht auf. Besonders rührig sind die Genossen in Niederösterreich. ( ... ) Am 14. Mai ds. J. hat in Bad Gastein neuerlich eine Tagung (der Gemeindevertreter; Red.) stattgefunden, die sich mit dieser Frage beschäftigt hat. ( ... ) Ich bitte um Kenntnisnahme und gegebenenfalls um entsprechende Veranlassungen in der Landespartei Niederösterreich.“ (Dokument 19)
Am 4. November 1949 richtete sich die Wiener Gemeinderatsfraktion der SPÖ an den Bundesparteivorstand mit der dringenden Bitte, der herrschenden Orientierungslosigkeit, hervorgerufen durch das Auseinanderklaffen von Theorie und Praxis, ein Ende zu bereiten.
„( ... ) Der durch die Verstaatlichung der Elektrizitätswerke bewirkte Entfall von Einnahmen, versetzt diese Genossen begreiflicherweise in große Verlegenheit, aus der der Versuch entsteht, die Verstaatlichung der Werke rückgängig zu machen. ( ... ) Die Partei müsste mit größtmöglicher Beschleunigung eine Klärung der Grundsätze sozialistischer Kommunalpolitik herbeiführen.“ (Dokument 20)
Die bereits oben angesprochene Nationalratswahl im Herbst 1949 und die daraus resultierende Neuordnung der politischen Kräfte, bewirkte auch Änderungen in der Energiepolitik. Drei Ministerien wurden aufgelöst (Elektrifizierung und Energiewirtschaft, Volksernährung sowie Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung) Anstelle der mit wirtschaftlichen Aufgaben befassten Ministerien wurde nun das Ministerium für Verkehr und Verstaatlichte Betriebe gebildet. (Im Volksmund bald "Königreich Waldbrunner" genannt). Karl Waldbrunner, bisher Staatssekretär im „Krauland-Ministerium“ (Vermögenssicherung), übernahm die Leitung dieses neuen „Wirtschaftsressorts“. Das war ein eindeutiges Zeichen an die Länder und Gemeinden, wonach das zuständige Ministerium keinen Zweifel an der Umsetzung des 2. Verstaatlichungsgesetzes bestehen ließ.
Bei einer Beratung der Vertreter der Landesenergiegesellschaften unter Vorsitz von NEWAG-Präsident Müllner am 27. Jänner 1950 wurden die geänderten Verhältnisse, einschließlich der Reaktionen der Länder, angesprochen:
„( ... ) Man (die Ländervertreter; Red.) kam zu der einheitlichen Auffassung, dass eine Teilnovellierung des 2. Verstaatlichungsgesetzes nicht in Erwägung gezogen werden kann. Falls eine Novellierung in Erwägung steht dann könnte nur eine Gesamtnovellierung erfolgen. Interessant war die Feststellung, dass mit Ausnahme von Steiermark und Wien sämtliche Landesgesellschaften im Rahmen des 2. Verstaatlichungsgesetzes E-Werke übernommen haben und es aus wirtschaftlichen Gründen untragbar wäre, die durchgeführten Verstaatlichungen rückgängig zu machen ( ... ) man vertritt vielmehr die Auffassung, dass die Verstaatlichung der noch selbständigen E-Werke weit weniger Probleme aufrollt, als die Rückgängigmachung ( ... ) Für NEWAG-Belange bedeute die Rückgängigmachung der Verstaatlichung die Zerschlagung (sie!) der Landesgesellschaft ( ... ) Auch Tirol und Vorarlberg, die bei Erlassung des Gesetzes Gegner der Verstaatlichung waren, vertreten den Standpunkt, dass das Gesetz keine Teilnovellierung erlaube ( ... ) Sollte eine Gesamtnovellierung in Frage kommen, so beanspruchen die Länder das autonome Recht der Energiewirtschaft, d.h. die Verbundgesellschaft würde zu bestehen aufhören. Hier stehen sich nicht nur Parteiansicht gegen Parteiansicht, sondern auch energiereiche Länder energieschwachen Ländern gegenüber. Es tritt das Problem zutage, die gesamte Verstaatlichung rückgängig zu machen und auf den status quo 1947 zu führen oder eine restlose Verstaatlichung durchzuführen. ( ... )“ (Dokument 24)
Was war geschehen? Hatten nicht Länder und Gemeinden noch 1949 gemeinsam das 2. Verstaatlichungsgesetz samt dessen Ausführung heftig kritisiert und angefochten? Ein Grund für den Stimmungsumschwung lag—wie es Müllner im oben angeführten Dokument bezeichnete—in der Polarisierung von energiereichen und energieschwachen Ländern. Eine bundesweit tätige Verbundgesellschaft war in der Lage den Energiebedarf der „schwachen“ Länder Niederösterreich, Burgenland und Wien, die allesamt im sowjetischen Einflussgebiet lagen, zu sichern.
Es sah somit nicht nach einer Niederlage der Länder aus, vielmehr schien ein weiterer Faktor entscheidend gewesen zu sein: Dem neugeschaffenen Bundesministerium für Verkehr und Verstaatlichte Betriebe gelang es die Interessen der Länder von jenen der Gemeinden zu trennen. So wurden die Vertreter der Länder bei den Landesenergiegesellschaften mit angemessenen Vollmachten und Rechtsstatus versehen, während viele Gemeindevertreter, nun ohne Rückendeckung ihrer Landesstellen, plötzlich vor vollendeten Tatsachen standen:
Ein Besprechungsbericht vom 17. Februar 1950 über eine Sitzung bei Bundeskanzler Figl, an der neben Landesrat Müllner auch Länder- und Gemeindevertreter teilnahmen, gibt Aufschluss über die folgenden
Entwicklungen:
„( ... ) Die Vertreter der Gemeinden mit kleinen Elektrizitätswerken verlangten eine Novellierung des 2. Verstaatlichunsgesetzes nach der Richtung, dass schon bestehende und in Betrieb befindliche Elektrizitätswerke nicht unter die Verstaatlichungsbestimmungen fallen sollen. { ... ) Die Vertreter der kleineren Gemeinden sprachen sich dagegen aus, dass die Landeshauptstädte, solange das 2. Verstaatlichungsgesetz in seiner gegenwärtigen Form bestehe, von den Enteignungsbestimmungen ausgenommen werden, ja eventuell neue Elektrizitätswerke errichten können.
Die Vertreter der Ländergesellschaften und der Kapitalgesellschaften sprachen sich für die Durchführung des 2. Verstaatlichungsgesetzes in seiner gegenwärtigen Form aus, da die Versorgung der einzelnen Landesteile, insbesondere der Streusiedlungen, nur durch große Energieunternehmungen durchgeführt werden könne. Außerdem können auf die Dauer nur die großen Gesellschaften tragbare Tarife erstellen. Für die Übernahme des Personals der Gemeinde-Elektrizitätswerke, die in Bundes-, Länder- oder Gesellschaftsbetriebe übernommen werden sei hundertprozentig gesorgt.( ... ) Die beiden Regierungsvertreter , Ministerialrat Dr. Hartig und Dr. Kastner gaben ihrer Meinung dahin Ausdruck, dass die Frage einer gerechteren Entschädigung im Nachhange zum 2.Verstaatlichungsgesetz sobald als möglich positiv geregelt werde, denn nach dem heutigen Stand der Dinge besteht praktisch die Möglichkeit einer entschädigungslosen Enteignung. Der Vertreter Tirols Stadtrat Ing. Egger ... stellte den Antrag, einen Fachausschuss einzusetzen, der sofort einen Kompromissvorschlag für die Novellierung des 2.Verstaatlichungsgesetzes fertigzustellen hätte, durch den aber die notwendige Reorganisation der Elektrizitätswirtschaft nicht behindert werden solle.
Diese Anregung wurde vom Vorsitzenden Landesrat Müllner aufgenommen, der es übernahm je 4 oder 5 Vertreter der Gemeinden und der Ländergesellschaften sowie 2 Vetreter der Ministerien zusammen zu berufen, um eine tragbare Kompromisslösung zu finden. Oberstes Ziel müsse dabei das Bestreben sein, möglichst alle, auch die abgelegensten Gebietsteile des Bundesgebietes mit Elektrizität zu versorgen und den billigsten Weg dabei zu finden. ( ... )“ (Dokument 25)
Auch eine Beschwerde der niederösterreichischen Gemeinden beim Verwaltungsgerichtshof wegen Verstaatlichung ihrer Elektrizitätswerke bzw. elektrischer Anlagen wurde negativ beschieden.
In einem Schreiben von Ministerialrat Straubinger an Bundesminister Waldbrunner vom 4. Dezember 1950 wurde festgestellt:
„( ... ) Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden der nö Gemeinden ... abgewiesen, nachdem schon vorher der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen hatte, dass diese Bescheide nicht verfassungswidrig sind. Die Gemeinden hatten in ihrer Beschwerde im Wesentlichen den Standpunkt vertreten, dass Verstaatlichungsbescheide nicht vor Erscheinen des im 2.Verstaatlichungesetzes in Aussicht gestellten Entschädigungsgesetzes erlassen werden dürfen bzw. dass in diesem Falle zumindest die suppletorischen Bestimmungen des Eisenbahnen-Enteignungsgesetzes (sic!) hätten angewendet werden müssen( ... )“ (Dokument 27)
Vorderhand hatten diese Gemeinden sich nun zwar dem Rechtsspruch zu beugen, doch ein Arrangieren und ein Kompromiss mit ihren Ländervertretern im Rahmen der Landesenergiegesellschaften war für die meisten Gemeinden ein möglicher Weg.
Durch das 2.Verstaatlichungs-Entschädigungsgesetzes wurden die Gemeinden allerdings auf eine harte Probe gestellt. Erst lange nach dem in dieser Edition behandelten Zeitrahmen 1945 bis 1953 nahm eine Entschädigung konkrete Formen an.
1958 wandte sich Bundeskanzler Raab in dieser Angelegenheit mit einem Schreiben an Finanzminister Kamitz:
„( ... ) Durch mehrfache Interventionen werde ich darauf aufmerksam gemacht, dass für eine Anzahl verstaatlichter Unternehmungen die Verstaatlichungsentschädigung noch nicht festgesetzt ist. Da durch den Abschluss des Staatsvertrages und das bevorstehende Wirksamwerden des österreichisch-deutschen Vertrages über das deutsche Eigentum in Österreich die einer Festsetzung der Verstaatlichungsentschädigung in diesen Fällen entgegengestandenen Hindernisse beseitigt worden sein dürften, würde ich es sehr begrüßen, wenn die Entschädigungsberechtigten, nachdem die Verstaatlichung nun bald 12 Jahre zurückliegt, möglichst ohne weiteren Verzug in den Besitz der Entschädigungen gelangen könnten.( ... )“ (Dokument 28)
Eine interessante Fragestellung wäre die Einflussnahme der Außenpolitik, d.h. das Bemühen um den Staatsvertrag, auf das gegenständliche Thema gewesen. Allerdings ließen die zur Verfügung stehenden Primärquellen einen derartigen Ansatz nicht zu.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der Aufbau einer geregelten Stromversorgung und die Aufrechterhaltung des Verbundbetriebes von den Bemühungen aller Seiten abhing. Erst durch die Bereitschaft aller demokratischen politischen Kräfte und aller betroffenen Gebietskörperschaften, das Energieproblem einvernehmlich zu lösen, war der folgende wirtschaftliche Aufschwung von Industrie und Gewerbe möglich.
Es steht einwandfrei fest, dass die Basis für den erfolgreichen Weg der Landesenergiegesellschaften nach 1945 in eben dieser Kooperation gelegen ist. Ebenso ist darin eine Absicherung der föderalistischen Kräfte, die bis heute spürbar sind, begründet.
Gregory Weeks
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