Kurz vor dem Ende der NS-Herrschaft in Österreich, am 7. April 1945, endete auch das Erscheinen der gleichgeschalteten nationalsozialistischen Presse. Dieses Vakuum, wie es der Wiener Medienhistoriker Wolfgang Mueller bezeichnet, wurde ab dem 15. April zuerst vom Organ der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich, der „Österreichischen Zeitung“, gefüllt. Am 23. April folgte die von den drei zugelassenen Parteien SPÖ, ÖVP und KPÖ getragene Zeitung „Neues Österreich“ unter Chefredakteur Ernst Fischer, einem KP-Mitglied. Damit zeichnete sich bereits eine Tendenz der alliierten Vergabe von Zeitungslizenzen ab, welche die parteigebundene gegenüber der unabhängigen privaten Presse priorisierte. Mueller führt dies darauf zurück, dass die Parteien für die Alliierten berechenbarere und zuverlässigere Ansprechpartner darstellten als private Zeitungseigentümer bzw. -herausgeber. Die von den Parteien gewünschte Herausgabe jeweils „eigener“ Zeitungen scheiterte anfänglich nicht nur an fehlenden Lizenzen, sondern an grundlegenderen organisatorischen und materiellen Erfordernissen, wie das Beispiel der SPÖ zeigt.
Am 18. April 1945 wurde der frühere Chefadministrator der SP-Boulevardzeitung „Das Kleine Blatt“, Anton Jenschik, der zwischen 1920 und 1934 auch Abgeordneter des Wiener Gemeinderats gewesen war, vom Wiener Bürgermeister Theodor Körner beauftragt, „die Mobilien und Immobilien“ der traditionsreichen, bis zum Bürgerkrieg 1934 im Eigentum der SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei) stehenden Druck- und Verlagsanstalt „Vorwärts“ „festzustellen und soweit als möglich in Betrieb zu nehmen“. (zit. n. Mesner et al.) Zwei Tage später wurde Körner von der Sozialistischen Partei darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Maschinen im Vorwärts-Gebäude an der Rechten Wienzeile demontiert und abtransportiert worden waren. (Dokument 1) Am 25. April folgte ein weiteres Schreiben, in dem der Bürgermeister gebeten wurde, beim sowjetischen Stadtkommando eine Rückgabe des besetzten Vorwärts-Hauses an „die rechtmässigen Eigentümer“, also die SPÖ zu erwirken. (Dokument 2) Wenige Tage darauf wurde Jenschik gemeinsam mit Franz Cischek, der wie Jenschik Sozialdemokrat war, zum öffentlichen Verwalter des Vorwärts-Verlages bestellt. Die endgültige Restitution sollte erst im Jahr 1948 erfolgen.
Am 2. Mai 1945 informierte die SPÖ Staatskanzler Renner, dass man „an der Herausgabe einer eigenen Partei-Zeitung brennend interessiert“ sei. (Dokument 3) Tags darauf dämpfte Renner die Hoffnungen seiner ParteigenossInnen. Das erforderliche Rotationspapier diene „vorrangig als Zahlungsmittel für ungarische Lebensmittel“, weshalb er „keine Möglichkeit“ sehe, „dem Zeitungswesen viel Raum zu geben“. Trotz der Einwände Renners kamen die drei Parteien rasch überein, jeweils eigene Parteiorgane herausgeben zu wollen, worüber Staatssekretär Schärf am 2. Juli seine SP-ParteivorstandskollegInnen unterrichtete. (Dokument 4) Die SPÖ sollte der Übereinkunft zufolge den Vorwärts-Verlag, die ÖVP den Herold- sowie den Dürer-Verlag und die KPÖ den Steyrermühl-Verlag erhalten, welcher später in „Globus-Verlag“ umbenannt wurde. Ein Pressekomitee mit Vertretern aller drei Parteien wurde unter anderem damit beauftragt, in diesbezügliche Verhandlungen mit den alliierten Behörden zu treten, Regelungen für die Papierverteilung zu treffen sowie gegenseitige „Presseexzesse“ zu vermeiden. Da nur eine Zeitung pro Partei vorgesehen war, musste der SPÖ-Vorstand entscheiden, ob das einstmals populäre „Kleine Blatt“ oder aber die gehobenere „Arbeiter-Zeitung“ (AZ) wieder erscheinen sollten. Die Wahl der anwesenden Mitglieder fiel auf das Großformat, also die „Arbeiter-Zeitung“. Eine, wenn auch implizite, Kritik an dieser Weichenstellung erfolgte kaum zwei Wochen später von Seiten Anton Jenschiks. (Dokument 6) Er befürchtete, die künftigen Zeitungen von ÖVP und KPÖ würden im Kleinformat in einfacher Sprache erscheinen, worin er einen Wettbewerbsnachteil für die Arbeiter-Zeitung zu erkennen glaubte. Zwar irrte Jenschik insoweit, als die ÖVP nicht die „Kronen-Zeitung“, sondern lediglich das unbedeutendere „Kleine Volksblatt“ als Parteiorgan wiederbeleben sollte, auch erschien die „Volksstimme“ der KPÖ später nicht im Klein-, sondern vielmehr im Großformat, doch blieb die Entscheidung für die „Arbeiter-Zeitung“ und damit gegen „Das Kleine Blatt“ umstritten. Einer späteren Neugründung des „Kleinen Blatts“ als Wochenzeitung – dies mit der Absicht, die täglich erscheinende „Arbeiter-Zeitung“ nicht zu konkurrenzieren – sollte kein langfristiger Erfolg beschieden sein.
Indes beschworen die Parteien in der Kommunikation untereinander weiterhin den Willen zur Zusammenarbeit. Am 5. Juli 1945 betonte der Leiter des ÖVP-Pressedienstes in einem Schreiben an sein SPÖ-Vis-à-vis, dass „Parteienhass und Parteienhader“ der Vergangenheit angehörten, und nunmehr „ein unter intelligenten Menschen üblicher Wettbewerb unter den Parteien vorherrschen“ sollte. (Dokument 5) Der Vorschlag einer „überparteiliche[n] Zusammenkunft zur Besprechung rein beruflicher Fragen unseres Ressorts“ wurde vier Tage darauf vom Adressaten positiv beantwortet. Am 23. Juli berichtete der Unterstaatssekretär im Staatsamt für Inneres, Oskar Helmer, den Mitgliedern des SPÖ-Organisationskomitees „über den neuen Stand in der Zeitungsfrage“: Es würde „nun doch raschestens zur Herausgabe der Parteiblätter kommen“. (Dokument 7) Helmer vermutete einen Zusammenhang zwischen der bevorstehenden Einrichtung von Besatzungssektoren der Westmächte in der bisher ausschließlich von den Sowjets besetzten Bundeshauptstadt. Die Rote Armee wolle, so der Unterstaatssekretär, davor noch „politische Fakten schaffen“. Helmer wurde in weiterer Folge beauftragt, im Rahmen des Pressekomitees der drei Parteien nicht zuletzt darauf zu achten, dass die Auflage der drei Parteiorgane jeweils gleich hoch sein sollte. Drei Tage vor deren erstmaligem Neu- bzw. Wiedererscheinen fand erneut eine Sitzung des SPÖ-Parteivorstands statt, in der Pressefragen aus verständlichen Gründen einen weiten Raum einnahmen. (Dokument 8) Das Pressekapitel wurde vom vorläufigen Chefredakteur der „Arbeiter-Zeitung“, Unterstaatssekretär Heinrich Schneidmadl, eingeleitet. Er referierte kurz über „Schwierigkeiten bei der Papierbeistellung“ und die „vorbereitete Deklaration der drei Parteien bezüglich eines Nichtangriffspaktes“, ehe Oskar Helmer das Wort ergreifen sollte. Dieser plädierte dafür, nunmehr eine Beteiligung der Partei an der Zeitung „Neues Österreich“ zu befürworten, da anfängliche Zweifel an einer Unvereinbarkeit mit dem Bestehen eines eigenen Parteiblatts ausgeräumt werden konnten. Der Antrag wurde einstimmig angenommen. Danach übergab Helmer wieder an Schneidmadl, der über die teilweise Beschlagnahmung des Vorwärts-Gebäudes durch die britische Besatzungsmacht informierte, in deren künftigem Sektor es sich befand. Anders als die sowjetische Konfiskation des Frühjahrs erachtete man dies aber keinesfalls als störend, ja begrüßte sogar die zugesagte Unterstützung „im Nachrichtendienst“. Weitere Wortmeldungen bzw. Beschlüsse betrafen die Gründung einer „Sozialistischen Verlags-Ges.m.b.H.“ als Eigentümerin der „Arbeiter-Zeitung“ sowie die Unterzeichnung des auf der Titelseite der Erstausgabe erscheinenden Aufrufs seitens des Parteivorstands.
Am 3. August 1945 setzte Staatssekretär Schärf den SPÖ-Parteivorstand über einen Beschluss des Politischen Kabinettsrates, der sich aus den Mitgliedern der Staatskanzlei zusammensetzte, in Kenntnis, welcher nach seinen Worten „eine Art Zeitungsburgfrieden“ darstellte. (Dokument 10) In der Vereinbarung, die vorerst „für die Dauer der derzeitigen Zusammensetzung der Staatsregierung“ galt, wurde festgehalten, dass erstens die „Grundhaltung und Tendenz“ der Zeitungen eine grundsätzlich positive sein sollte, zweitens selbst bei politischen Differenzen zuerst der „gemeinsame Aufbauwillen“ betont und die anschließende Auseinandersetzung sachlich geführt werden sollte und drittens jede „persönliche Polemik“ zu unterbleiben hätte. (vgl. auch Dokument 9) Diese drei Punkte wurden lediglich in der Erstausgabe der „Österreichischen Volksstimme“ der KPÖ veröffentlicht, obwohl zumindest für die „Arbeiter-Zeitung“ überliefert ist, dass selbige den AZ-Redakteuren zur Kenntnisnahme vorgelegt worden waren. (Dokument 11), (Blatt 2) Noch am 4. August, also einen Tag vor dem erstmaligen Erscheinen der Parteizeitungen, erging an den sowjetischen Stadtkommandanten ein formelles Schreiben mit der Bitte um Genehmigung zur Herausgabe der „Arbeiter-Zeitung“. (Dokument 11), (Blatt 1) Darin wurde unter anderem festgehalten, dass „täglich um 23 Uhr Moskauer Zeit (21 Uhr Wiener Zeit)“ die Vorlage eines Zensurexemplars erfolgen würde. (zur Zensur anderer Medien am Beispiel der von der städtischen „Gewista“ in Wien affichierten Plakate vgl. (Dokument 13))
Die folgenden Monate und Jahre waren von einer Expansion und Diversifikation des Parteizeitungswesens gekennzeichnet. Den ersten Schritt wagte die ÖVP, deren Teilorganisationen beginnend mit dem „Österreichischen Bauernbündler“ eigene Zeitungen herausbrachten. Dies brachte die SPÖ in Zugzwang, die darin zwar eine unzulässige Umgehung der geltenden Beschränkung auf ein Blatt pro Partei sah, jedoch vorsorglich ein eigenes Organ für den SPÖ-Arbeitsbauernbund einforderte. (Dokument 12). Am 1. Oktober 1945 trat das alliierte Dekret über die Pressefreiheit in Kraft, womit in allen Besatzungszonen nicht nur die Vorzensur aufgehoben, sondern auch die Herausgabe von lokalen Parteiblättern zusätzlich zu den bereits bestehenden Besatzungsorganen ermöglicht wurde. Die Dezentralisierung des österreichischen Zeitungsmarktes, die bereits im Nationalsozialismus begonnen und nach dem Krieg mit der Einrichtung der vier Besatzungszonen einen neuen Aufschwung genommen hatte, setzte sich damit fort. In der Sitzung des SPÖ-Parteivorstandes vom 1. Juli 1946 wurden neue Zeitungsgründungen in Aussicht gestellt, mit denen spezifische Zielgruppen wie gewerkschaftlich organisierte Parteimitglieder oder Intellektuelle angesprochen werden sollten. (Dokument 14) Die Versorgung mit Zeitungspapier und die Verfügbarkeit von Druckmaschinen (vgl. Dokument 15) hielten mit der rasanten Entwicklung des Pressewesens nur bedingt Schritt. Insbesondere die Papierzuteilung – Rotationspapier sollte noch bis zum 1. März 1949 bewirtschaftet werden – wurde zum Streitfall zwischen Besatzungs-, Partei- und unabhängiger Presse, wobei letztere oft das Nachsehen hatte. Trotzdem gelang es den parteiungebundenen Zeitungen, im expandierenden Markt gegenüber den Zeitungen der Besatzungsmächte, die nicht zuletzt aus Einsparungsgründen vermehrt eingestellt oder an private wie parteinahe österreichische Eigentümer übergeben wurden, an Boden zu gewinnen und vor allem im Westen Österreichs die Parteiblätter zu überflügeln.
In den frühen 50er-Jahren wurde die Pressepolitik der Regierung von zwei Themenkreisen bestimmt: Zum einen geriet die erst 1946 gegründete Austria Presse Agentur (APA) infolge des Austritts der Vertreter der parteiunabhängigen Zeitungen in eine existenzielle Krise, zum anderen wurde seitens der Regierungsparteien ÖVP und SPÖ ein größeres pressepolitisches Einvernehmen zugunsten einer „Popularisierung der Regierungspolitik“ angestrebt. Der Streit um die APA hatte sich vordergründig an deren negativer Gebarung entzündet, dahinter standen jedoch widerstrebende Interessen von privater und Parteipresse, zwischen denen ein Ausgleich angesichts der ungleichen Kräfteverhältnisse – das Verhältnis von parteiunabhängigen und parteigebundenen Zeitungen betrug zuletzt fünf zu 20 – kaum mehr möglich schien. Als Konsequenz des Austritts der privaten Zeitungen verschärfte sich die finanzielle Schieflage der APA zusätzlich. Bezeichnend erscheint in diesem Zusammenhang das Informationsschreiben vom Leiter des ÖVP-Pressedienstes, Hofrat i. R. Hans Georg Kramer, an Bundeskanzler Figl vom 7. Februar 1951, in dem Kramers größte Sorge der behaupteten nunmehrigen SPÖ-Übermacht in der genossenschaftlich organisierten APA galt. (Dokument 21) In den tags darauf stattfindenden Parteienverhandlungen erklärten die Sozialisten – in einem gewissen Widerspruch zu den Ausführungen Kramers – lapidar, „an der APA kein Interesse mehr zu haben, da ihnen dort ein entscheidender Einfluss fehlt“. Sie sei ohnehin „nach dem Ausscheiden der ‚unabhängigen‘ Presse nicht mehr zu halten“. (Dokument 22) Nachdem entsprechend einem Vorschlag von ÖVP-Generalsekretär Unterrichtsminister Felix Hurdes (Dokument 23) das schwarz-rote Führungsduo bestehend aus Generaldirektor Karl Siepen und Chefredakteur Vinzenz Ludwig Ostry ausgetauscht worden war, erfolgte eine Rückkehr der unabhängigen Zeitungen in die APA, welcher Schritt gemeinsam mit einem Sanierungsprogramm den künftigen Bestand der Agentur sichern sollte. (zur Debatte um die APA vgl. auch (Dokument 24))
Das Ziel der „Popularisierung der Regierungspolitik“, wie es in der Parteienvereinbarung vom 9. März 1951 formuliert wurde (Dokument 24), stand wohl in einem gewissen Zusammenhang mit den empfindlichen Stimmeneinbußen der beiden Großparteien bei der Nationalratswahl vom 9. Oktober 1949. Zu diesem Zweck sollte einerseits das kurzlebige Presseübereinkommen aus dem Jahr 1945 erneuert werden und andererseits der Bundespressedienst gemeinsam mit dem staatlichen Nachrichtendienst „zu einer aktiveren einheitlichen Tätigkeit komme[n]“. (Dokument 17) Denn, so Vizekanzler Schärf, „[e]s genüge nicht, „dass man nur bemüht sei, Meldungen der jeweils anderen Partei zu unterschlagen“. Eine entscheidende Rolle fiel auch hier dem ÖVP-Generalsekretär zu, dessen Vorschläge praktisch eins zu eins umgesetzt wurden. Der im Bundeskanzleramt angesiedelte Bundespressedienst wurde de facto den Regierungsparteien unterstellt, denen auch ein neu zu schaffendes Pressearchiv, wie es in der Parteienvereinbarung ausdrücklich hieß, „dienstbar“ gemacht werden sollte. (Dokument 24) Lediglich die Wortwahl wurde, wie ein Vergleich der Dokumente zeigt, ein wenig geglättet. Sollten die Regierungsvertreter im Bundespressedienst gemäß Hurdes‘ ursprünglicher Formulierung noch für die Umsetzung von „Direktiven für die Bekämpfung der regierungsfeindlichen Propaganda“ sorgen (Dokument 23), so wurden in der Übereinkunft vom 9. März 1951 daraus „Vorschläge zur Abwehr von Angriffen und zur Popularisierung der Regierungspolitik“ (Dokument 24). Die Annahme, dass in der Praxis zwischen Direktiven und Vorschlägen kein wesentlicher Unterschied bestand, erscheint alles andere als abwegig. (zur Debatte um den Bundespressedienst und das Pressearchiv vgl. auch (Dokument 22))
Bezüglich des Presseübereinkommens wurde von Seiten der Regierungsparteien bereits früh entschieden, dieses angesichts des bevorstehenden Bundespräsidentschaftswahlkampfes um ein entsprechendes Fairnessabkommen zu ergänzen. (vgl. Dokument 22) Die Übereinkunft des Jahres 1945 wurde größtenteils wortident übernommen; einzig Punkt 3 wurde dahingehend geändert, dass „persönliche Polemiken“, die 1945 noch bei Vorliegen „strafbare[r], kriminelle[r] Handlungen“ gleichsam erlaubt gewesen waren, fortan generell zu unterbleiben hatten. (Dokument 24) Hintergrund dieser Verschärfung war vermutlich die Presseberichterstattung im Fall Krauland. (vgl. Kapitel 8) Über Sinn und Unsinn solcher Abkommen gibt ein Briefwechsel zwischen den beiden Parteivorsitzenden Julius Raab, ÖVP, und Adolf Schärf, SPÖ, vom Februar 1952 ein beredtes Zeugnis, der von wechselseitigen Vorhaltungen über diesbezügliche Verstöße der Parteipresse geprägt war. (Dokument 26) Auf eine nähere Erläuterung der „heute nahezu kabarettreif anmutenden“ Korrespondenz (Maria Mesner) wird an dieser Stelle verzichtet.
Das 1945 noch relativ junge Medium Radio sah sich nach Ende des Krieges mit ähnlichen Herausforderungen wie die Presse konfrontiert: Mehrere Sendeanlagen, darunter die größte auf dem Bisamberg nahe Wien, waren zerstört und es mangelte an technischer Ausrüstung sowie Tonträgern. Improvisierte österreichische Initiativen zur Wiederbelebung des Rundfunks wie beispielsweise der „Freiheitssender Ausseerland“ wurden von den Alliierten im Keim erstickt und verboten. In der späteren sowjetischen Besatzungszone nahm die „Radio Verkehrs AG“, kurz „RAVAG“, die in der Ersten Republik gegründet worden war, am 29. April 1945 mit „Radio Wien“ wieder ihren Betrieb auf. Aufgrund der genannten Zerstörungen blieb die Reichweite des Senders vorerst auf den Raum Niederösterreich beschränkt. Die westlichen Besatzungsmächte ließen auf ihrem Gebiet keine österreichischen Senderbetreiber zu, sondern unterhielten jeweils eigene Sender: die USA die „Sendergruppe Rot-Weiß-Rot“, die Briten die „Sendergruppe Alpenland“ und die Franzosen die „Sendergruppe West“. Die von den Sowjets praktizierte Zensur der Radioprogramme konnte daher im Besatzungsrundfunk der Westmächte entfallen. Die Einrichtung von Besatzungssektoren im bisher rein sowjetisch verwalteten Wien mit 1. September 1945 hatte für die „RAVAG“ bzw. „Radio Wien“ keine Auswirkungen, da sich das Wiener Funkhaus im sowjetischen Sektor und damit weiter unter sowjetischer Kontrolle befand.
Ein erster Versuch der Bundesregierung, eine Änderung der Verhältnisse im Rundfunk mittels „Verstaatlichung und Rezentralisierung“ (Wolfgang Mueller) herbeizuführen, wurde 1946 seitens der Länder abgelehnt. 1948/49 scheiterte eine erst von den Westmächten angebotene und dann von der Sowjetunion geforderte Übergabe der Besatzungssender an Österreich an Differenzen in Fragen der Zensur. Auch österreichischerseits wurden weiterhin Reformideen formuliert, etwa vom Wiener SP-Stadtrat Leopold Thaller, dessen Interesse am Rundfunkwesen in Anbetracht seiner kommunalen Ressortzuständigkeit für das Wohnungs-, Siedlungs- und Kleingartenwesen überrascht. (Dokument 16) Anlässlich der Koalitionsverhandlungen 1949 stellte Thaller Vizekanzler Schärf gegenüber eine Reihe von rundfunkpolitischen Forderungen auf: So sollte der Rundfunk als öffentliches Unternehmen österreichweit einheitlich organisiert sein, wobei der personalpolitische Einfluss der SPÖ, dem der mit Abstand umfangreichste Teil des Schreibens gewidmet war, „unbedingt“ sichergestellt sein musste. Die sozialistischen Versuche einer Einflussnahme auf den Rundfunk riefen wiederum die ÖVP auf den Plan, welche 1950 Bestrebungen des Verstaatlichtenministers Karl Waldbrunner, „das ganze Rundfunkwesen (einschliesslich Programmgestaltung) in seine Hand zu bekommen“, zurückwies. (Dokument 18) 1951 informierte ÖVP-Pressereferent Kramer Kanzler Figl geradezu neidvoll über die Aktivitäten der SPÖ im Bereich des US-Besatzungssenders „Rot-Weiß-Rot“ und erbat von Figl die Zustimmung, über den Pressedienst der Volkspartei analog auf den Sender einwirken zu können. (Dokument 20) Die weiter oben thematisierte Parteienvereinbarung vom 9. März 1951 enthielt schließlich auch Regelungen für die „Propaganda im Rundfunk“. (Dokument 24) Die Vertreter der beiden Parteien im Bundespressedienst sollten auf Grundlage ihrer dortigen Erfahrungen Vorschläge unterbreiten, „in welcher Weise eine Verstärkung der Propaganda im Rundfunk am besten durchgeführt werden soll“.
Nachdem am 1. August 1952 die französischen Besatzungsbehörden die „Sendergruppe West“ an die Landesregierungen von Tirol und Vorarlberg übergeben hatten, meldete die Bundesregierung – soweit es Vorarlberg betraf, zunächst erfolglos – ihre Ansprüche an. Die Vorarlberger Landesregierung verweigerte die Übergabe des Landessenders Dornbirn und wandte sich zur Klärung der Kompetenzfrage an den Verfassungsgerichtshof. Dieser entschied am 5. Oktober 1954 im Sinne Wiens, womit die von der Bundesregierung angestrebte Zentralisierung des Rundfunkwesens Wirklichkeit werden konnte. Zwischenzeitlich hatten die Briten am 14. Jänner und die USA am 15. März 1954 ihre Sender, letztere allerdings ohne die Sendeanlagen in Wien, den österreichischen Stellen überantwortet. Die Abgabe des Wiener Senders von Radio „Rot-Weiß-Rot“ erfolgte erst, als die Sowjets am 27. Juli 1955 ihre Propagandasendung „Russische Stunde“ auf „Radio Wien“ einstellten. Die Rundfunkzensur war bereits mit 1. September 1953 beendet worden.
Auf dem Gebiet der Wochenschauen, die bis in die 60er-Jahre das „dominierende audiovisuelle Informationsmedium“ (Mueller) darstellten, waren bis 1949 allein die Alliierten verantwortlich. Die kurz nach der Befreiung im Mai von der „Wien-Film“ mit vorhandenem Material produzierte „Österreichische Wochenschau“ wurde von ihnen sogleich verboten. Die ersten sowjetischen Wochenschauen waren ab Juni 1945 in den ostösterreichischen Kinos zu sehen, danach folgte im Herbst 1945 eine eigens für das österreichische Publikum in deutscher Sprache produzierte Wochenschau-Sonderausgabe unter dem Titel „Zeitgeschehen, schnell gesehen“. Ab 1946 lief die erste reguläre, kontinuierlich gezeigte sowjetisch-österreichische Wochenschau „Spiegel der Zeit“, die von „Helios-Film“ auf den Wiener Rosenhügelstudios hergestellt wurde. Mit dem Wechsel zur „Wien-Film“, die bereits die 1945er-Sonderausgabe produziert hatte, erfolgte eine abermalige Änderung des Titels, der nunmehr „Wir sind dabei“ lautete. Als regelrechte Wochenschau-Pioniere erwiesen sich die Franzosen, die ab August 1945 eine eigene österreichische Fassung ihrer deutschsprachigen Produktion „Les Actualités Françaises“ in den Kinos der französischen Besatzungszone in Westösterreich zeigten. US-Amerikaner und Briten ließen sich hingegen mit ihrer gemeinsam produzierten Wochenschau „Welt im Film“ bis 1946 Zeit.
Der Wechsel von den Wochenschauen der Besatzer zur österreichischen „Austria Wochenschau“ erfolgte ziemlich abrupt im November 1949. Voraussetzung für diesen Schritt war, dass sich die neue Wochenschau der Zensur der sowjetischen Behörden unterwarf und ferner verpflichtete, jede Woche mindestens einen sowjetischen Beitrag zu zeigen. Die Eigentumsverhältnisse der „Austria Wochenschau“ bzw. der Produktionsgesellschaft gleichen Namens machten diese besonders anfällig für eine politische bzw. parteipolitische Einflussnahme: Mehrheitseigentümer war die Republik Österreich (52 Prozent), die verbleibenden Anteile wurden paritätisch von der ÖVP-nahen „Sascha-Film-Verleih- und Vertriebs-G.m.b.H.“ und der SPÖ-nahen „Kinobetriebs-, Filmverleih- und Filmproduktions-G.m.b.H.“, kurz „KIBA“, gehalten. Bereits 1950 sah sich die Volkspartei veranlasst, ein auf einen stärkeren sozialistischen Einfluss abzielendes Begehren des SP-Ministers Waldbrunner abzuwehren. (Dokument 18). In weiterer Folge wurde mit Beschluss des Ministerrats vom 19.12.1950 ein eigenes Ministerkomitee in Sachen „Austria Wochenschau“ bestehend aus Hurdes und Waldbrunner eingerichtet, welches am 30. Jänner 1951 unter anderem einvernehmlich feststellte, dass die „politische Parität“ durch die Einstellung zweier neuer Aufnahmeleiter gewährleistet sein sollte. (Dokument 19) „Sascha-Film“ und „KIBA“ übernahmen ferner Verleih und Vertrieb, womit die beiden parteinahen Filmproduktionsgesellschaften fortan direkt von der Tätigkeit der „Austria Wochenschau“ profitieren konnten. Politisch-inhaltlicher Natur war die Auseinandersetzung um die Berichterstattung der „Austria Wochenschau“ zu den Protesten gegen einen Entscheid des Verwaltungsgerichtshofs zur Rückgabe in der NS-Zeit enteigneter Gütern an den ehemaligen Heimwehrführer Ernst Rüdiger Starhemberg. Der SP-Aufnahmeleiter, Abgeordneter zum Nationalrat Edmund Reismann, beabsichtigte, einen Beitrag über die von der SPÖ bzw. den sozialistischen Gewerkschaftern organisierten Betriebsversammlungen zu produzieren, woraufhin der VP-Vertreter im Programmbeirat den Leiter des ÖVP-Hauptreferates für Organisation und Werbung, den ÖVP-Nationalratsabgeordneten und ehemaligen Staatssekretär Ferdinand Graf, einschaltete. Dieser wandte sich wiederum am 10. Jänner 1952 brieflich an SPÖ-Zentralsekretär Otto Probst und bat diesen, „von der Einschaltung des in Rede stehenden Streifens abzusehen“. (Dokument 25) Es sei „ohneweiteres denkbar“, so Graf, „dass es in den Lichtspieltheatern zu Kundgebungen pro und contra [im Original gesperrt, Anm.] kommen könnte. Das wollen wir doch beide nicht.“
Die weitere Entwicklung der Medienpolitik war im hohen Maße vom technischen Fortschritt im Medienwesen bestimmt, welcher Rückwirkungen auf mediale Konsumgewohnheiten mit Implikationen auf die Gesellschaft insgesamt zur Folge hatte. Im Bereich der Presse setzte in den 50er-Jahren ein schleichender Bedeutungsverlust der Parteizeitungen ein. Das gleichermaßen erratische wie vergebliche Bemühen der Parteien, dieser Tendenz mittels einer verstärkten Einflussnahme auf formell „unabhängige“ Blätter entgegenzuwirken, sollte 1958 kurzfristig im sogenannten „Wiener Zeitungskrieg“ eskalieren. In den folgenden Jahrzehnten beschleunigte sich der Niedergang der Parteipresse, welcher nicht zuletzt 1991 in der Einstellung der traditionsreichen „Arbeiter-Zeitung“, die zuletzt nur mehr als „AZ“ auftrat, seinen sinnfälligen Ausdruck fand. Mit dem Siegeszug des Internets kam der Printsektor als Ganzes unter Druck; seit den 2000er-Jahren sinken die Auflagen der Zeitungen kontinuierlich und ohne Aussicht auf Änderung.
Dem Rundfunk erwuchs ab 1955 mit dem Fernsehen ein neuer Konkurrent. Dessen Potential war den politischen Entscheidungsträgern anfänglich nicht ganz klar: ÖVP-Bundeskanzler Raab bezeichnete es als „Manderl-Radio“ und überließ den Posten des Fernsehdirektors der SPÖ. Nachdem dieser Irrtum bald bemerkt worden war, wurde der 1957 gegründete Österreichische Rundfunk (ORF) als gemeinsame Gesellschaft für Radio und Fernsehen penibel zwischen Schwarz und Rot aufgeteilt. Dagegen wandte sich 1964 das Rundfunkvolksbegehren, woraufhin 1966 das Rundfunkgesetz beschlossen wurde. Dessen ungeachtet sollte der ORF auch danach ein Spielball der Parteien bleiben.
Während das Radio trotz eines unzweifelhaften Bedeutungsverlusts seinen Platz neben dem Fernsehen behaupten konnte, gerieten die Wochenschauen gegenüber dem neuen audiovisuellen Medium bald hoffnungslos ins Hintertreffen. Nach dem Verschwinden der Wochenschaukinos konnte sich die „Austria Wochenschau“ noch eine Zeit als Vorprogramm in regulären Kinos halten, ehe sie 1982 eingestellt werden sollte.
Verwendete Literatur
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