Der juristisch und politisch höchst unpräzise Begriff „Wiedergutmachung“ sollte in Anerkennung der Londoner Deklaration vom 5. Jänner 1943 alle jene Maßnahmen umschreiben, die dazu dienten, zumindest das materielle Unrecht des NS-Regimes—soweit dies möglich war—rückgängig zu machen. Die Ermordung von mehr als 60.000 Österreichern und Österreicherinnen aufgrund der rassistischen NS-Pseudo-Gesetzgebung war eben so wenig „wieder gut zu machen“ wie die Ermordung von Millionen Juden in den NS-Vernichtungslager oder die zivilen und militärischen Opfer als Folge der Angriffskriege des Regimes.
Es muss vorausgeschickt werden, dass die politische Elite des demokratischen Österreichs nach 1945 Großteils diesen berechtigten materiellen Forderungen gegenüber überaus skeptisch eingestellt war. Staatskanzler Karl Renner ging in einem politischen Memorandum sogar soweit, vorzuschlagen:
„Rückgabe des geraubten Judengutes, dies nicht an die einzelnen Geschädigten, sondern an einen gemeinsamen Restitutionsfonds. Die Errichtung eines solchen und die im folgenden vorgesehenen Modalitäten sind notwendig, um ein massenhaftes, plötzliches Zurückfluten der Vertriebenen zu verhüten (Ein Umstand, der aus vielen Gründen sehr zu beachten ist). Sobald das Fondsvermögen, das allen Beraubten solidarisch zur Entschädigung dienen soll, festgestellt sein wird, werden Anteilscheine ausgegeben, für jeden pro rata des erlittenen Schadens ... Soweit Unternehmungen sozialisiert werden—und das sind alle großen— tritt anstelle des Fondanteils die allfällige staatliche Ablösungsrente.“
Sehr wohl setzte sich aber Renner für eine rasche Restitution des zwischen 1934 und 1938 „der Arbeiterschaft geraubten privat- und öffentlich-rechtlichen Einrichtungen ein. überdies beharrte Adolf Schärf auf einer „Wiedergutmachung für 1934“ (ungefähr 60 Millionen Schilling für die Partei und 60 Millionen Schilling für die Gewerkschaften).
In den ersten Expertengutachten des Außenamts über „Die außenpolitische und völkerrechtliche Seite der Ersatzansprüche der jüdischen Naziopfer“ wurde zwar eine rechtliche Verpflichtung für die Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes abgelehnt, aber aus politischen Gründen doch zumindest eine Rückstellung vorgeschlagen. Das heißt, dass zwar das nationalsozialistische Deutschland allein als Täter (d.h. auch „Entzieher“ von materiellen Werten) angesehen wurde, aber eine Restitution vom Staat Österreich (der sich unter Berufung auf die Moskauer Deklaration 1943 als Opfer verstand) in Aussicht gestellt wurde.
Eine erste Maßnahme war die Verabschiedung des „Gesetzes über die Erfassung arisierter und anderer im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Machtübernahme entzogenen Vermögenschaften“(10. Mai 1945), ohne dass die Entziehung genauer definiert oder die entsprechenden Rückstellungen gesetzlich vorgeschrieben wurden. Bereits bei dieser Sitzung wurde deutlich, dass sich die sozialdemokratischen Mitglieder der Staatsregierung, allen voran Renner, aber auch Unterstaatssekretär Oskar Helmer benachteiligt fühlten und forderten die Rückgabe der 1934 beschlagnahmten Vermögenschaften und Vermögensrechte sozialdemokratischer Organisationen und der Gewerkschaften. Helmer forderte „zumindest eine Ankündigung, dass diese Vermögenschaften in einer Form zurückerstattet werden, die einer Wiedergutmachung gleichkomme“ (Dokument 1)
Staatskanzler Renner ging noch weiter und meinte mit einem verdeckten politischen Untergriff, „dass es doch ganz unverständlich wäre, dass man jeden kleinen jüdischen Kaufmann oder Hausierer für seinen Verlust entschädigt, dass man aber einer ganzen Klasse und einer Bewegung, der 47 Prozent der Bevölkerung angehört haben, straflos und ohne Ersatz das Ergebnis ihrer emsigen Sammeltätigkeit und ihrer Organisationsarbeit glatt wegnehmen kann“ (Dokument 1). Gleichzeitig machte er sein verbleiben als Staatskanzler von einem derartigen Gesetz abhängig.
Für die „jüdische“ Wiedergutmachung wurde jedoch erst mit dem „Nichtigkeitsgesetz“ aus 1946 und dem „l. Rückstellungsgesetz“ sowie den folgenden sechs Rückstellungsgesetzen bis 1949 ein formaler Rahmen für die „Restitution“ mancher, aber nicht aller, Vermögenskategorien geschaffen (z.B. wurden Mietrechte nicht rückgestellt; bereits eingezahlte Pensionen u.a. waren lange umstritten).
Versucht man für den Raum Wien und Niederösterreich die angefallenen „Rückstellungen“ gesondert statistisch auszuweisen, so zeigt sich bei einer Rückblende auf die ersten Statistiken der „NS-Ariseure“ das Ausmaß der Ansprüche. So meldete die Vermögensverkehrsstelle am 3. Januar 1939 „jüdisches Vermögen“ in der Höhe von 2.041,828.000 Reichsmark. Kaufmännische und industrielle Unternehmungen wurden mit 321,329.000 Reichsmark beziffert, Wertpapiere und Aktien mit 265,958.000 Reichsmark, städtischer Haus- und Grundbesitz mit 521,162.000 Reichsmark und Land- und Forstwirtschaftlicher Besitz mit 39,673.000 Reichsmark.
Hinsichtlich der nach wie vor ungeklärten Wiedergutmachung für den Entzug von Vermögen der Arbeiterbewegung gab es in der Staatsregierung und im Kontaktkomitee zwischen SPÖ und KPÖ (Dokument 2) Auffassungsunterschiede, da die KPÖ sich von der SPÖ benachteiligt fühlte, beispielsweise bei der Rückstellung von Arbeiterheimen. Die Debatte wurde insofern kompliziert als auch Beamtenebene des Staatsamtes für Inneres eine Vermögenssicherungsverordnung entworfen worden war, die nunmehr der Gewerkschaftspräsident Böhm benützte, um die Sicherung und Rückstellung des Vermögens der Gewerkschaften (d.h. des Vermögens der Deutschen Arbeitsfront, DAF) zu fordern. Aufgrund dieser und anderer Einwände wurde die Entscheidung darüber vertagt, ohne wirklich eine Lösung anbieten zu können (Dokument 3). Ein „Vermögensrepatriierungsgesetz“ scheiterte vorerst an einem Alliierten Einspruch (Dokument 4). In dieser Situation wurde sogar der Rückkauf des traditionsreichen Partei- und Druckereigebäudes „Vorwärts“ erwogen (Dokument 4), doch 1947 letztlich im 3. Restitutionsgesetz geregelt (Dokument 5). 1947 kam es auch zu einer neuerlichen Politisierung der“ jüdischen Wiedergutmachung“; seit Mai 1946 verfolgte man in allen Regierungsstellen die akkordierte und von Außenminister Gruber vorgetragene Linie, dass “Österreich nur Rückstellung veranlassen, nicht aber Wiedergutmachung leisten könne (Dokument 6).
Grubers Formulierung, dass sich „Österreich einer Wiedergutmachung nicht widersetzen würde, die für namentlich angeführte Juden verlangt wird“, erregte österreichische Beamte, die gerade im Zusammenhang mit der bevorstehenden parlamentarischen Diskussion des 3. Rückstellungsgesetzes zu weitgehende Zugeständnisse befürchteten und überhaupt die gesamte Frage der „Rückstellung“ artifiziell von der „jüdischen Frage“ als Rechtsproblem abhandeln wollten.
Die Restitution seitens des österreichischen Staates und der Länderregierungen (1. und 2. Rückstellungsgesetz) funktionierte schleppend und mit großem bürokratischen Aufwand. Große Probleme gab es hingegen mit dem 3. Rückstellungsgesetz, betreffend Rückstellung von in privater Hand befindlichem entzogenen Vermögen. Vor allem die gesetzliche Forderung nach „Rückzahlung des Kaufpreises“ führte zu Ungerechtigkeiten.
Diese scheinbare Erfolgsbilanz - meist mit falschen Statistiken - wird bis heute gerne in offiziellen Broschüren als „Leistung der Republik Österreich“ hervorgehoben. Tatsächlich handelte es sich dabei um eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit. Das durch mehr als 40 Bundesgesetze seit 1947 geänderte Opferfürsorgegesetz gewährt geringe Entschädigungsleistungen (Haftentschädigungen, Abgeltung von Einkommensschäden etc.) für österreichische Staatsbürger, die als Opfer mittels Amtsbescheinigung anerkannt wurden. Die Renten nach dem Opferfürsorgesetz sind übrigens gleich jenen nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz. Hier sind auch jene Anspruchsberechtigt, die zwischen 1933 und 1938 politisch verfolgt wurden (mit Ausnahme der „illegalen Nationalsozialisten). Zwischen 1946 und 1987 haben die gesamten Entschädigungszahlungen 7,509,200 Schilling betragen.
Erst ab 1953 begannen unter internationalem Druck Verhandlungen über eine Globalentschädigung für jenes Vermögen, für das es keine Eigentümer bzw. Erben gab, sowie bezüglich beschlagnahmter Bankguthaben, Versicherungen, Gold, Juwelen, Hausrat, Wohnungseinrichtungen, der sogenannten „Judenabgabe“ und der „Reichsfluchtsteuer'' sowie der niedergebrannten Tempel und gestohlenen oder vernichteten Ritualgeräte. Diese Verhandlungen hätten fast nicht stattgefunden, wenn die SPÖ der Einbindung des Wahlverbands der Unabhängigen in die Bundesregierung zugestimmt hätte oder eine Koalition ÖVP-WdU (Wahlpartei der Unabhängigen) gebildet worden wäre. Bundespräsident Theodor Körner hat seine Zustimmung bei beiden Varianten verweigert. In einer Parteienvereinbarung ÖVP-WdU wurde die bisherige Rückstellungspraxis stark eingeschränkt und prinzipiell alle jüdischen Forderungen als „übertrieben“ uminterpretiert. Im Gegenzug setzte der WdU „Wiedergutmachungen“ für Internierte der Alliierten durch, d.h. in erster Linie ehemalige NSDAP- und SS-Mitglieder, die beispielsweise in Entnazifizierungslager Glasenbach interniert worden waren (Dokument 18). Verhandlungen mit jüdischen Organisationen sollten auf Wunsch des WdU überhaupt erst auf die Zeit nach Erlangung der vollen staatlichen Souveränität verschoben werden.
Nach jahrelangen Verhandlungen kam unter sanftem Druck des US Department of State sowohl auf die internationalen jüdischen Organisationen als auch auf die österreichische Bundesregierung 1961 ein Lösung zustande, wonach ein „Fonds zur Abgeltung von Vermögensverlusten politisch Verfolgter“ (Abgeltungsfondsgesetz) eingerichtet wurde {155,220.000 Schilling plus 170 Millionen Schilling pauschalierter Verwaltungskosten). 1962 wurde überdies ein Hilfsfonds mit 600 Millionen Schilling gegründet, die von der Deutschen Bundesregierung als Teil der Wiedergutmachung an Österreich aufgrund des Bad Kreuznachner Abkommens eingezahlt wurden. Der 1956 per Gesetz errichtete „Hilfsfonds“ hatte bereits 1959 sein Fondsvermögen von 550 Millionen Schilling, aufgebraucht/ausgezahlt.
In der Frage der Wiedergutmachungsansprüche von Personen und Institutionen, die zwischen 1934 und 1938 als Sozialdemokraten bzw. sozialistische Organisationen Vermögensverluste bzw. Schäden erlitten hatten, stelltet sozialistische Abgeordnete im Juni 1948 einen Initiativantrag auf ein 2. Rückgabegesetz (Dokument 7). Bereits hier zeigte sich neuerlich, dass dies in der ÖVP eine Frage von höchster Brisanz war und in der Folge bei diesen und anderen Parteiengesprächen unbedingt auf ein gemeinsames Protokoll wertgelegt wurde (Dokument 8). Zug um Zug wurden sozialdemokratische Forderungen diskutiert und teilweise auch erfüllt, so im Zusammenhang mit Wiederherstellung von Mietrechten und Gewerberechten bzw. Pensionsansprüchen (Dokument 9) und (Dokument 10). Am Rande gab es aber auch Probleme mit vermischten Mobiliar im Rahmen sozialdemokratischer Organisationen, das aus dem DAF-Vermögen oder Nazi-Vermögen, das der Republik Österreich zugefallen war, stammte (Dokument 11). Auch Vermögenssteuer für Wiedergutmachungszahlungen belasteten die Parteiorganisation, so dass man um Ausnahmen ansuchte (Dokument 12)
Im Jänner 1951 hatten sich ÖVP und SPÖ größtenteils über das 2. Rückstellungsanspruchsgesetz geeignet, welches die Rückstellung von Vermögen der Kirchen, Gewerkschaften und Kammern regeln sollte. Nur in der Frage des Gewerkschaftsvermögens war man uneins, da es sich einerseits um Vermögen des ÖGBs 1934 bis 1938 handelte (beziffert mit rund 6 Millionen Schilling), wohingegen das DAF Vermögen aus den Jahren 1938 bis 1945 rund 250 Millionen Schilling beträgt und in Siedlungen, Grundstücken etc. angelegt war (Dokument 13). Die ÖVP versuchte unter Hinweis auf Vermögen von Christlichen und unpolitischen Gewerkschaften eine Teilung dieser Gesamtwerte durchzusetzen, und auf diese Art und Weise rund 20 bis 33 Prozent direkt an den ÖAAB zu übertragen. Eine rasche Einigung über das ÖGB-Vermögen blieb aber aus und wurde ins Parlament verlagert (Dokument 14-17).
Erzgänzung durch Gregory Weeks:
Trotz der vielen Rückstellungsgesetze wurde von den frühen Bundesregierungen der Zweiten Republik wenig getan um die Opfer der Nationalsozialisten zu entschädigen. Letztendlich nach langen Verhandlungen hat Österreich am 6. Juni 2001 das Washingtoner Abkommen unterzeichnet und spät, aber doch wurde tatsächlich einer weitgehenden Restitution für die Opfer der Nationalsozialisten stattgegeben und ein Zeichen für die Zukunft gesetzt. Mit dem Nationalfonds der Republik Österreich für die Opfer des Nationalsozialismus wurde schon 1995 ein Mechanismus für eine „Entschädigung“ geschaffen und mit dem Zukunftsfonds der Republik Österreich die Förderung von Forschung zu Themen der Österreichischen Zeitgeschichte ermöglicht.
Literatur
Brigitte Bailer, Wiedergutmachung kein Thema: Österreich und die Opfer des Nationalsozialismus, Wien 1993.
Irene Etzersdorfer, Arisiert: Eine Spurensuche im gesellschaftlichen Untergrund der Republik. Wien 1995.
David Forster, „Wiedergutmachung“ und Vermögensfragen – Österreich und die Bundesrepublik Deutschland im Vergleich“: In: Verschiedene europäische Wege im Vergleich, hrsg. von Michael Gehler. Innsbruck – Wien 2007.
Ludwig Viktor Heller, Wilhlem Rauscher und Rudolf St. Baumann (Hrsg.)
Verwaltergesetz, Rückgabegesetz, Zweites und Drittes Rückstellungsgesetz mit den Motivenberichten der Regierungsvorlagen und des Nationalrates. Wien: Manz. 1947.
Thomas Herko, Die Frage der ehemaligen Zwangsarbeiter unter nationalsozialistischem Regime auf dem Gebiet der heutigen Republik Österreich: Der Weg zur Errichtung des Österreichischen Versöhnungsfonds. Wien 2002.
Stefan Karner, „Die Opfer des Nationalsozialismus in Österreich. Opferfürsorge und „Wiedergutmachung“ in: Nach den Diktaturen, hrsg. von Günther Heydemann und Clemens Vollnhals, Göttingen 2016.
Robert Knight (Hrsg.), „Ich bin dafür, die Sache in die Länge zu ziehen“: Wortprotokolle der österreichischen Bundesregierung von 1945-1952 über die Entschädigung der Juden, Frankfurt/Main 1988.
Hannah M. Lessing und Maria Luise Lanzrath, „Wiedergutmachung? Das Unmögliche versuchen – Der Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus“, In: 100 Jahre Republik, Wien, 2018.
Sebastian Meissl, Klaus-Dieter Mulley und Oliver Rathkolb, Verdrängte Schuld, Verfehlte Sühne. Entnazifizierung in Österreich. Wien 1986.
Anton Pelinka und Erika Weinzierl (Hrsg.), Das große Tabu. Österreichs Umgang mit seiner Vergangenheit. 2. Auflage. Wien: Verlag Österreich, 1997.
Oliver Rathkolb, „Wiedergutmachung“ (unveröffentlichtes Typoskript), Archiv des Karl von Vogelsang Instituts Wien 1995.
Otto Rendi, „Wiedergutmachung an den in Österreich durch die Nationalsozialisten rassisch und politisch Verfolgten“. In: Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark, Graz Nr. 1906 . - 64. 1973: 229 – 241.
Dieter Stiefel, Entnazifizierung in Österreich, Wien 1981.
Andrea Strutz, Wieder gut gemacht? Opferfürsorge in Österreich am Beispiel der Steiermark. 1. Aufl. Wien: Mandelbaum, 2007.